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Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Titel: Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Beantwortung von Umfragen. Bei Fragen in der Art von >Wie oft haben Sie in den vergangenen zwei Jahren Ihren Hausarzt besucht?< zeigte sich bei Überprüfung, daß die Befragten die
    Häufigkeit überschätzten. Die Ursache lag darin, daß sie auch Fälle, die knapp außerhalb dieser beiden Jahre lagen, hinzuzogen. Gray stellte mit anderen Worten fest, daß Menschen im allgemeinen die Tendenz haben, Ereignisse für jüngeren Datums zu halten, als sie tatsächlich sind. Dieses Phänomen hat viel Forschung ausgelöst und bekam einen Namen, der an Sullys Fernglas erinnert: Teleskopie. Auch die Erklärung, die damit suggeriert wird, unterscheidet sich nicht viel von Sullys Analogie: Der durch Linsen verstärkte Rückblick läßt den zeitlichen Abstand schrumpfen, so daß die betreffende Periode einen zu breiten Raum einnimmt.
    Wenn es um persönliche Ereignisse geht, ist es oft schwierig, den Grad der Teleskopie genau zu messen. Für öffentliche Ereignisse gilt diese Beschränkung nicht. Die Psychologen Crawley und Pring haben 1997 ein Experiment durchgeführt, in dem der geschätzte zeitliche Abstand genau mit dem tatsächlichen verglichen werden konnte. Sie erstellten eine Liste von Ereignissen, an die sich jeder, der die (britischen) Nachrichten auch nur einigermaßen verfolgt hatte, erinnern würde. Darunter waren Katastrophen wie Tschernobyl (1986) und Lockerbie (1988), wichtige politische Entwicklungen wie Thatchers Antritt als Premierministerin (1979) und die argentinische Besetzung der Falklandinseln (1982), die Mordanschläge auf John Lennon (1980) und Indira Gandhi (1984), die Bombenanschläge auf Harrod's (1983) und das Grand Hotel in Brighton (1984), dazu noch eine Reihe anderer Vorfälle, die Aufruhr verursacht hatten. Das älteste Ereignis war das silberne Jubiläum von Königin Elizabeth (1977), das jüngste der Fall der Mauer (1989). Anschließend baten Crawley und Pring ihre Versuchspersonen, so genau wie möglich Jahr und Monat zu schätzen. In den Ergebnissen zeigte sich ein interessanter Umstand, der mit dem Lebensalter zu tun hatte. Versuchspersonen mittleren Alters (zwischen 35 und 50) verlegten Ereignisse auf ein jüngeres Datum, eine Bestätigung also der in vorhergehenden Experimenten gefundenen Teleskopie. Aber die älteren Versuchspersonen (im Durchschnitt um die siebzig) datierten die Ereignisse zeitlich zu weit zurück. Es war, als hätten sie das Teleskop umgedreht und sähen den Abstand jetzt erst recht verlängert.
    »Das kann hilfreich sein bei der Erklärung, warum die Zeit beim Älterwerden zu fliegen scheint«, schreiben Crawley und Pring. Der dahinterliegende Gedanke ist wahrscheinlich, daß die Zeit in jener subjektiv längeren Periode dann auch schneller vergangen sein muß. Diese Schlußfolgerung zeigt, wie schwierig es ist, Ergebnisse einer Untersuchung der Wahrnehmung von Zeit zu interpretieren. Denn auch für die entgegengesetzte Schlußfolgerung spräche etwas. Gerade jemand, der denkt, etwas sei vor drei Jahren geschehen, obwohl es in Wirklichkeit schon fünf Jahre sind, wird seufzen: »Wie die Zeit doch fliegt.« Die Beschleunigung der Jahre scheint eher mit Teleskopie als mit umgekehrter Teleskopie verbunden zu sein. Die Schlußfolgerung von Crawley und Pring ist nur zu retten, wenn man einen umgekehrten Zusammenhang zwischen der Überschätzung der Dauer eines Zeitraums und dem subjektiven Tempo der Zeit während dieser Periode annimmt. Das zeigt sich tatsächlich bei den schnell vorbeischießenden Tagen einer Urlaubswoche, die bei Rückkehr länger scheint als eine normale Woche. Aber in diesem Fall würde sowohl die Teleskopie als auch die umgekehrte Teleskopie den Eindruck vorbeischießender Tage vermitteln, und das nimmt der Schlußfolgerung jeglichen erklärenden Wert.
    Der Reminiszenzeffekt
    Jemand, der eine Erinnerung zu datieren versucht, schrieb der französische Arzt Theodule Ribot 1881 in einem Klassiker über das Gedächtnis, benutzt Erkennungspunkte, Ereignisse, deren Ort in der Zeit bekannt ist. Solche Erkennungspunkte wählen wir nicht, sie drängen sich uns auf. Meistens sind sie rein individuell, aber sie können auch für eine Familie gelten oder für ein ganzes Volk. Sie bilden Ketten, die sich aus täglichen Handlungen, wichtigen Ereignissen innerhalb einer Familie und beruflichen Tätigkeiten ableiten. Solche Ketten, fuhr Ribot fort, »sind um so zahlreicher, je abwechslungsreicher das Leben des Individuums ist. Diese Punkte sind wie Meilensteine oder

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