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Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Titel: Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Haarlem ein seltsamer Zwischenfall ereignet: Herr Van Ee, ein wohlhabender Geschäftsmann, stand am Eingang der Grote Kerk und unterhielt sich noch ein bißchen mit einem Bekannten, als sich hoch oben im Giebel ein Stein löste und mitten durch Hut, Perücke und Schädeldach von Van Ee schlug. Der Geschäftsmann fiel tot um. Als ein paar Jahre später einer seiner Verwandten im Familiengrab beigesetzt wurde, »wollte man noch einmal den Schädel des unglücklichen Van Ee betrachten und fand das Stück seiner Hirnschale, die durch den Stein eingedrückt worden war.«
    In den ersten Jahren erinnert sich Willem an einzelne Bruchstücke, zum Beispiel, daß er seine Mutter morgens so höflich wie möglich grüßte: »Guten Morgen, Mutter, wie geht es Euch? -Sehr gut, Willem, war ihre Antwort, und wie steht es mit dir? -Auch sehr gut, Mutter, sagte ich dann und wähnte mich in Höflichkeit weit über meinen Bruder und meine Schwester erhoben.« Oder daß er vom Milchmann Maarten immer einen Schluck süße Milch in einer Tasse bekam, zumindest wenn seine Schuhe sauber waren. »Sieh an, zwei Kleinigkeiten, fast zu kindisch, um sie zu erzählen, aber bestimmt nicht gleichgültig in der Erziehung.« Ein wenig deutlicher ist die Erinnerung an den Betrieb im Haus gegenüber: von dem Geld, das der kürzlich verschiedene Teyler van der Hulst hinterlassen hatte, baute man dort ein Stift. Willem erinnert sich auch an die Krankheiten und kleinen Mißgeschicke, als er einmal Scharlach hatte, später die Pocken, die er »so unge-schunden überstand, als hätte man den Kuhpockenstoff bei mir angewandt (damals noch unbekannt)«, und er erinnert sich daran, wie er kochendes Wasser über den Fuß bekam, von einem Hahn in die Hand gepickt wurde, schmerzhaft von einem Ofen stürzte.
    In unserer Zeit sind frühe Erinnerungen häufig mit der Geburt eines Geschwisterkindes verbunden, ln Van den Hulls Zeit war die Chance groß, daß man sich an einen Todesfall in der Familie erinnerte. Ein jüngerer Bruder Willems starb schon vor seinem ersten Geburtstag, sein älterer Bruder Pieter verstarb mit sieben Jahren. Willem war damals noch keine vier Jahre alt. Pieter hatte bei seinen Großeltern übernachtet. Auf der Rückreise war das Linienboot, mit dem er und sein Vater über den Haarlemersee fuhren, von einem schweren Sturm überrascht worden. Der Fährmann konnte mit Müh und Not noch sicher in die Mündung der Sparne segeln. Wahrscheinlich hatte sich Pieter dabei erkältet, denn seitdem hustete er. Die Hustenanfälle wurden so heftig, daß ihn seine Mutter eines Tages auf ihr eigenes Bett legte, damit er sich ein bißchen erholte. Ein paar Stunden später bekam er wieder einen Hustenanfall. Seine Mutter nahm ihn auf den Schoß, um ihn zu beruhigen: »Doch vergebens: der Husten hält an: meine gerührte Mutter sieht ihrem Söhnchen voller Mitleid in die Augen: sie bemerkt, daß das Gesicht bereits gebrochen ist, und schreit: Oh Gott, mein Kind stirbt! Und wahrlich, in ihren Armen hauchte er seinen letzten Seufzer aus!« Auf Willem macht die Trauer seiner Eltern mehr Eindruck als der Tod seines Bruders. Die Erinnerungen daran sind bruchstückhaft, aber sie stehen ihm noch scharf vor Augen: »Ich weiß nicht mehr viel von all diesem Kummer, aber doch, daß meine Eltern mit meiner ältesten Schwester und mir um den Leichnam knieten, als mein Brüderchen in seinem kleinen Sarg lag, um begraben zu werden, während mein Vater so ergreifend betete und meine Mutter so bitterlich weinte!«
    Woran sich Van den Hull aus den Tagen danach erinnert, ist vor allem seine eigene Verwirrung. Er stellt Hunderte von Fragen: Wo Pietertje jetzt ist und ob er unglücklich ist, er versteht nicht viel von den Antworten, begreift nicht, wie sein Brüderchen in einem Grab liegen kann und gleichzeitig auch im Himmel ist, und macht sich von all dem schließlich seine eigene Vorstellung. In Haarlem war es so üblich, die Fensterläden geschlossen zu halten, wenn sich ein Toter im Haus befand. Das war auch bei Pieters Tod der Fall gewesen, und immer, wenn Willem an einem geschlossenen Haus vorbeikam, fragte er sich, wo sein Bruder jetzt wohl sein möge. An der Sparne stand ein ehemaliges Zollhaus, das nicht bewohnt wurde und dessen Fenster immer geschlossen waren. Vielleicht befand sich darin »eine große Menge Toter«, dachte Willem, und man hielt die Fenster sorgfältig geschlossen, um dafür zu sorgen, daß sie nicht herauskamen. Vielleicht war dann auch sein Brüderchen

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