Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung
Dienstmädchen Krijntje erzählte. Da begann erst die wahre Demütigung: später an diesem Tag fragte Krijntje ihn spöttisch, was er denn in seiner Hose sitzen habe. »Dieses Spotten über eine Strafe, die so peinlich und schmachvoll war, traf mich in diesem Moment so tief, daß die Stelle, an der Krijntje stand, die Art und Weise, wie sie mich das fragte, der Ort, an dem Dictus saß, und der, wo ich war, mir heute noch so deutlich vor Augen stehen, als wäre es gestern geschehen.« Die Fotografie war noch nicht erfunden, geschweige denn das Blitzlicht, aber diese Szene hat alle Eigenschaften einer Blitzlichterinnerung.
Genauso detailliert ist die Erinnerung an das, was ihm wiederfährt, als er eine Anstellung als Lehrer in Groningen hat und nach einem Aufenthalt in Haarlem mit der Treckschute dorthin zurückreist. Er ist bereits in Stroobos, als er entdeckt, daß er nicht genug Geld bei sich hat. Ihm fehlen vier Heller: kein großer Betrag, aber auch wieder keine so kleine Summe, daß der Fährmann achselzuckend darüber hinwegsehen konnte. Er beschließt, bis zu >Vierde-verlaat< mitzufahren (dem heutigen Vierverlaten) und den Rest dann eben zu laufen. Während er mit den anderen Passagieren in Stroobos am Kai steht und darauf wartet, an Bord zu gehen, hört er den Fährmann noch etwas rufen, was klingt wie: »Alle Mann mit nach Greuninge'«, aber niemand antwortet, und Van den Hull steigt mit den anderen ein. Eine halbe Stunde später kommt der Fährmann vorbei, um das Geld für die Überfahrt zu kassieren. Van den Hull fragt, was es bis nach Vierde-verlaat kostet. Das ist der Anfang eines peinlichen Streits:
»Ich bekomme kein Geld bis Vierde-verlaat, antwortet er, du mußt bis Greuninge bezahlen. Ich fahre nicht bis Groningen, wiederholte ich, ich muß in Vierde-verlaat aussteigen. Das kannst du, mein Junge, sagte er in verächtlichem Ton, aber du bezahlst mich bis Greuninge, das ist mein Recht, und darum habe ich in Stroobos gefragt: Alle Mann mit nach Greuninge? Da hättest du sagen müssen: Bis Vierde-verlaat, aber jetzt wirst du mich vollends bezahlen ... Da ich das unmöglich konnte, mußte ich ihm das unbedingt verweigern, und zwar auf eine Weise, als würde ich ihn, die Folgen seiner unbilligen Forderung nachdrücklich in Groningen spüren lassen. Aber was ich auch sagte oder drohte, er spottete darüber und fluchte, daß ich den Kahn nicht verlassen würde, bevor ich ihm nicht, gemäß seinem Recht, die volle Fracht bezahlt hätte, und damit ging er, ohne Geld von mir annehmen zu wollen, wieder zurück zum Steuerstand, während er mich erneut fürchterlich beschimpfte, vor allem als adeligen Habenichts.«
In der Hoffnung, sich aus dieser mißlichen Lage zu retten, zieht er einen Mitreisenden ins Vertrauen und bittet diesen, ihm die vier Heller zu leihen. Aber der weist ihn mißtrauisch ab, so daß er seine Schande auch noch umsonst vergrößert. Besorgt gleitet er auf Vierde-verlaat zu, wo er zu seiner Erleichterung - »Gott hatte meine Geldnot gesehen« - die Schwester eines Freundes am Kai stehen sieht. Sie schießt ihm mit Vergnügen das fehlende Reisegeld vor, und Van den Hull kann bis Groningen mitfahren.
Die Anlässe sind immer wieder andere, die Scham ist jedes Mal gleich intensiv. An einem sonnigen Nachmittag läuft Van den Hull in Haarlem an einem Haus vorbei, in dem er im Zimmer hinter dem hochgeschobenen Fenster einige Gouvernanten und ihre Freundinnen sitzen sieht. Höflich lüftet er den Hut. »Aber statt meinen Gruß zu beantworten oder mich wenigstens unbemerkt Vorbeigehen zu lassen, höre ich auf einmal, wie all diese Zier-püppchen in schallendes Gelächter ausbrechen, so daß es nur so durch die Straße hallt. Um mich nun davon zu überzeugen, daß solches um meine Person herum geschah, komme ich absichtlich eine Stunde später noch einmal vorbei, ziehe wiederum höflich den Hut, und jetzt steigt, falls überhaupt möglich, ein noch lauteres Gelächter aus dem Kreis auf. Diese Begegnung fand am 3. Mai 1817 statt.« Bei wiederum einer anderen Gelegenheit begleitet er einen seiner jungen Schüler, Junker Collot d'Escury, auf seiner Reise zu dessen Elternhaus in Den Haag. Sie reisen komfortabel, die Sitzplätze auf dem Kahn sind für sie reserviert, aber als sie das Haus des jungen Herrn erreichen, tritt letzterer sofort ein und läßt Van den Hull auf der Matte stehen, wo dieser wartet, bis ihm ein erstaunter Lakai mitteilt, es sei gut so, und die Tür schließt. »Der vornehme Stand,
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