Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
weggeschwemmt. Kardinal Robert Bellarmin hat auf dem Gebiet solcher Aushilfstheorien Bewunderungswürdiges geleistet.
Solche Rückzüge liegen heute seit Jahrhunderten hinter uns. Christen sahen sich durch Zweifel am tatsächlichen Charakter ihrer Berichte bedrängt; ihre Verteidiger haben den Glauben systematisch gegen Erfahrungsargumente immunisiert; dazu haben sie ihn verdünnt und spiritualisiert. Jetzt auf einmal hatte Gott die Welt doch nicht in sechs Tagen erschaffen; nach langen Kämpfen drehte sich die Sonne nicht mehr um die Erde, obwohl die von Gottes Geist geschriebene Bibel das sagte. Ihr Anspruch, Tatsachen mitzuteilen, wurde zunehmend entkernt. Aber kann ein Christ zugeben, die Welterschaffung habe nicht ‹tatsächlich› stattgefunden? Ein Theologe, der öffentlich erklärt, die Leiche Jesu sei im Grab geblieben, verliert sein Lehramt auch in der evangelischen Kirche, die sich ihrer Verdienste um die Geistesfreiheit zu rühmen pflegt. Sie gestattet, den faktischen Charakter der biblischen Berichte verschieden zu interpretieren, aber wer ihn bestreitet, verliert das Lehramt. Die Kunst mancher Theologen besteht darin, Formulierungen zu erfinden, denen man nicht leicht anmerkt, daß Eva nicht aus der Rippe gebildet und daß das Grab nicht leer war. Es genügt, daß der Gottesgelehrte in irgendeiner unbestimmten Form an der Erbsündenlehre festhält, denn ohne sie funktioniert weder die lutherische noch die römische Erlösungstheorie.
Jesus, sagen sie, sei irgendwie ‹erweckt› worden. Solche Abschwächungen haben den christlichen Glauben, der es verschmäht, blinder Köhlerglaube zu sein, in Westeuropa einer jahrhundertelangen Plünderung ausgesetzt. Auf diese Weise verschwanden so poetische Stücke der christlichen Glaubenslehre wie Teufel und Hölle in der Reservatenkammer. Die einen legten den Gauben so lange aus, bis etwas vernünftig Akzeptables herauskam. Andere nahmen das zum Anlaß, seine Unverdaulichkeit zu rühmen. Sie genossen die Demütigung der Vernunft. Den Streit darüber, diese harte Arbeit, nennt man ‹Theologie›. Daher muß mit Absicht und Methode historisch forschen, wer den christlichen Glauben im ungerupften Zustand kennenlernen will. Das ältere Christentum, keineswegs nur das vorreformatorische, war bunt, lebensvoll und voller phantastischer Dreistigkeiten. Es lehrte, die Sternenschalen drehten sich allein um der wenigen Auserwählten willen, die natürlich getauft sein müßten. Es entnahm Gottes Wort, daß es Hexen gebe und daß oberhalb des sichtbaren Himmels Wassermassen lagern. Es kannte die neun Chöre der Engel; es wußte deren kosmische Funktion und rief sie beim Namen; es lehrte als göttliches Gebot, Frauen, die Hosen tragen, Homosexuelle und Glaubensleugner dem weltlichen Arm zur Vernichtung zu übergeben; es wußte, was der hingerichtete Jesus bei seinem Abstieg in die Hölle alles geleistet hatte. Heute versichert mancher Apologet, diese oder jene Lehre werde nicht mehr gelehrt. Bischöfe erklären zu später Stunde im Fernsehen, von der Lehre über die Hölle machten sie keinen Gebrauch mehr. Reformwillige streichen den Sexismus der Erbsündenlehre; manche erdreisten sich zu behaupten, er sei nie gelehrt worden. Glauben sie denn noch, Jesus habe durch seinen Tod die Welt erlöst? Da freut es den Ungläubigen, gelegentlich bekenntnisstarke Christen zu treffen, die glauben, Jesus habe Petrus als seinen Stellvertreter eingesetzt, habe ihm die Schlüssel des Himmelreichs in die Hand gedrückt und ihn nach Rom geschickt. Dabei tritt der absurde Effekt ein: Je mehr Unwahrscheinliches der Glaubensbote als faktisch geschehen behauptet, je mehr ‹Geheimnisse› er predigt, um so göttlicher, abenteuerlicher, integraler und ehrwürdiger klingt die Glaubensbotschaft. Um so verdienstlicher erscheint es, seinen Verstand in die Gefangenschaft des Glaubens zu geben. Ich als Zweifelnder lasse fromme Erzählungen als Fabel gern gelten und sage mit Goethe:
So was freut mich alten Fabler:
Je wunderlicher, um so respektabler.
Kann der Gläubige so reden? Er hält seinen Glauben für wahr und meint damit wohl, was da berichtet wird, sei wirklich geschehen. Doch als historisch-faktisches Ereignis kommt es in der Fachdisziplin ‹Geschichtswissenschaft› seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr vor. Aber verlangt nicht die Logik seines Glaubens einen noch so fernen, noch so dunklen, noch so dünnen Kern der Faktizität? Moderne Protestanten rühmen zuweilen den um jeden
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