Warum Machst Du Mich Nicht Gluecklich
keinen Sex mit dir wollen werde, kann ich dir nicht ver sprechen. Aber das müsste ich wohl, damit du mir vertraust und dich öffnest.« Sahra ist verletzt und sauer. »Schon allein dieser Satz zeigt ja, dass es dir eigentlich nur auf Sex ankommt. Ich habe ja sowieso keine Wahl.« Ich mische mich ein: »Ich habe den Eindruck, in diesem Moment stehen Sie beide mit dem Rücken zur Wand. Warum eigentlich? Wie so kommt es mir so vor, als ob jeder von Ihnen gerade um sein inneres Überleben kämpft?« Hannes schaut erst zu Sahra, dann zu mir. »Sex bedeutet mir ganz viel«, sagt er. »Ich spüre dann eine ganz intensive Nähe zu Sahra. Fühle mich wirklich von ihr angenommen. Fühle mich richtig ...« Er denkt nach. »Ich bin oft angestrengt und bemüht, alles gut zu machen, zu Hause und im Beruf. Wenn ich mit Sahra schlafe, dann fällt das alles von mir ab. Dann bin ich eins mit mir und mit ihr.« Er lächelt etwas verlegen. »Und Sie?«, frage ich Sahra. Sie strafft sich. »Ich kann es nicht mehr ertragen, dass ich immer für die Ansprüche und Bedürfnisse der anderen da sein soll. Früher meine Mutter, dann die Kinder und dann noch du!«, sagt sie zu Hannes. »Ich habe den Eindruck, dass ich bei dir nur eine Existenzberechtigung habe, wenn ich funktioniere. Was ich will oder was ich kann, spielt überhaupt keine Rolle!« Beide kommen ihren Projektionen langsam auf die Spur. Für Hannes ist Sahra die übermächtige Frau, die die Macht hat, ihn anzunehmen oder zu verstoßen, ihn sich lebendig fühlen oder in Bedeutungslosig keit versinken zu lassen. Kein Wunder, dass er so darum kämpft, dass sie mit ihm schläft. Denn die Al ternative wäre, sich wie ein un gewolltes und ungesehenes Kind zu fühlen und das will Hannes nie wieder spüren. Für Sahra bestätigt Hannes durch sein Verhalten alles, was sie bisher über Liebe gelernt hat: N ur wenn ich funktioniere, bekom me ich ein bisschen Zuwendung. Doch wehe nicht! Sie sieht in ihm einen übermächtigen strafenden Erwachsenen den sie bekämpft, um die schreckliche Einsamkeit ihrer Kindheit nicht wieder fühlen zu müssen. Beide verhalten sich nachvollziehbar und konsequent bezogen auf ihre Projektionen. Doch leider i st dadurch die ersehnte Nähe un möglich, denn sie haben den anderen durch diese Bilder aus den Augen verloren. Dass Sahra sich genau wie er nach Liebe und Anerkennung sehnt, kann Hannes nicht glauben. Dass er sie als so mächtig emp findet, ist für Sahra unvorstellbar. Im Gegenteil, jeder Versuch, es ihr zu erklären, macht sie wütend, denn was sie hört, unterstützt ihr altes Thema: »Ich bin so unglücklich, und du tust nichts dagegen!« Wie so häufig führt der Kampf gegen die aus den eigenen Ängs ten geborene Projektion dazu, dass bedauerlicherweise genau das eintritt, was man unbedingt vermeiden wollte: Wenn Hannes sich zurück zieht, um sich vor der strengen, strafenden Frau zu schützen, die er in Sahra sieht, dann bestätigt er ihr Bild des übermächtigen Mannes, der sie zwingt zu funktionieren. Und wenn sie versucht, ihn dazu zu bewegen, dass er sein Verhalten ändert, fühlt er sich erneut kritisiert, bestraft und ausgeliefert. Der einzige Ausweg wäre zu erkennen, wer der andere wirklich ist. Doch genau das ist beinahe unmöglich, solange die Angst regiert.
Ödipus
D er Mythos beschreibt, wie eine (Zukunfts-)Projektion zum Auslöser für die vorhergesagte Tragödie wird. Und wie alle Beteiligten darin gefangen bleiben, weil sie nicht erkennen können, wer der andere eigentlich in Wahrheit ist.
Lange Jahre blie ben König Laios und seine Frau L okaste kinderlos. Schließlich machte sich Laios auf, um das Orakel zu befragen. Doch dieses hatte nur eine Warnung für ihn: »Ein Fluch liegt auf deinem Haus, Laios. Hüte dich, einen Sohn zu zeugen, denn dieser wird seinen Vater erschlagen und die Mutter heiraten!« Erschrocken kehrte er zurück, und als ihm schließlich ein Sohn geboren wurde, bat er L okaste, diesen im Gebirge aussetzen zu lassen. Doch ein mitleidiger Hirte brachte das Kind nach Korinth, wo es im Haus des Königs Polybos aufwuchs. Als Ödipus erfuhr, dass er nicht das leibliche Kind von Polybos und Merope war, ging auch er zum Orakel, um zu erfahren, wer er sei. Mit Grausen vernahm er die Prophezeihung, dass er seinen Vater töten und die Mutter heiraten würde. Um seinen Pflegeeltern dieses Schicksal zu ersparen, beschloss er zu fliehen. Im Gebirge begegnete ihm eine Kutsche und er erschlug im Streit den Kutscher und
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