Warum manche Menschen nie krank werden
Patricia mit Vorliebe Reisen in ferne Länder. In Südafrika trank sie bedenkenlos Flusswasser, in Botswana aß sie Beeren direkt vom Strauch, probierte in einem Dorf in Simbabwe eine undefinierbare Breispeise, in der Mongolei Stutenmilch und in Chungking Reiskekse, die »aus den Tiefen einer Schublade hervorgekramt wurden«. Und zu Hause droht ihr Ehemann inzwischen damit, ein Schild mit der Inschrift »Ruhet in Frieden« auf die Lebensmittel im Kühlschrank zu kleben.
Das sind die Fakten
In den verschiedenen Regionen der Welt leiden und sterben die Menschen an unterschiedlichen Krankheiten. In den Entwicklungsländern stirbt ein Großteil der Bevölkerung an Infektionskrankheiten wie Lungenentzündung, Malaria und Cholera, während in den Industrienationen die Zahl derjenigen steigt, die an sogenannten Wohlstands- oder Zivilisationskrankheiten wie Herzerkrankungen und Diabetes mellitus leiden.
Patricias sorgloser Umgang mit Erde, Staub und Schmutzpartikeln an Lebensmitteln oder Händen wird durch eine
wissenschaftliche Theorie bekräftigt, die als »Hygienehypothese« oder »Dreck- und Urwaldhypothese« bezeichnet wird und sich vor allem mit den Ursachen der Zivilisationskrankheiten beschäftigt. Die Hygienehypothese markiert einen Paradigmenwechsel in der Betrachtungsweise des menschlichen Immunsystems. Bakterien, Viren und Pilze werden nicht mehr grundsätzlich als unerwünschte Invasoren betrachtet, mit denen der Mensch erbittert um die Vorherrschaft in seinem Körper kämpfen muss. Es zeigt sich immer deutlicher, dass viele dieser Winzlinge in Wahrheit nützliche Mitbewohner sind, mit denen der menschliche Körper eine Symbiose eingeht. In gewisser Weise ist der Mensch in seinem eigenen Körper sogar in der Unterzahl, denn die Anzahl der Bakterien übersteigt die Anzahl der menschlichen Zellen um das Zehn- bis Zwanzigfache. Aus diesem Grund halten es immer mehr Mediziner für wesentlich gesünder, den nützlichen Organismen Zutritt zu gewähren, anstatt gegen sie anzukämpfen.
»Seien Sie vorsichtig mit Gesundheitsbüchern – Sie könnten an einem Druckfehler sterben.«
– MARK TWAIN, US-AMERIKANISCHER SCHRIFTSTELLER
Den Anstoß zum Umdenken gab 1989 der britische Epidemiologe David Strachan mit der Veröffentlichung der Ergebnisse einer Langzeitstudie über Heuschnupfen- und Ekzemerkrankungen bei Kindern in der Fachzeitschrift British Medical Journal . Als Studienobjekte dienten Strachan mehr als 17 000 britische Kinder, die innerhalb einer bestimmten Woche des Jahres 1958 zur Welt gekommen waren. Über wiederholte Befragungen, die er mit den Kindern oder deren Eltern in einem Zeitraum von teilweise bis zu 23 Jahren
durchführte, sammelte er umfangreiche Daten, die er 1981 im Hinblick auf verschiedene soziale und umweltbedingte Faktoren auswertete. Nur ein einziger Faktor erwies sich als ausreichend signifikant, um einen kausalen Zusammenhang mit den Erkrankungen herstellen zu können: die Größe der Familie. Je mehr Geschwister ein Studienobjekt hatte, umso geringer war das Risiko, dass es später unter Heuschnupfen oder Ekzemen litt.
Daraus zog Strachan den Schluss, dass der Kontakt mit infektiösen Erregern im Kindesalter die Ausbildung von Allergien vermeiden hilft. »Über die letzten 100 Jahre wurden die Familien immer kleiner, während der Ausstattungskomfort der Haushalte sowie der Hygienestandard stiegen. Zusammen genommen schränken diese Trends die Möglichkeiten der gegenseitigen Ansteckung innerhalb der Familie stark ein«, so Strachan.
Anders ausgedrückt: Der steigende Wohlstand, mit dem der demografische Wandel sowie höhere Hygienestandards und neue, kulturell bedingte Verhaltensmuster einhergehen, erklären zumindest zum Teil die Ausweitung entzündlicher und allergischer Erkrankungen, die seit rund 30 Jahren in den Industrieländern zu beobachten ist. Viele Menschen sind Erregern nicht in ausreichendem Maße ausgesetzt, sodass der Körper nicht nur auf spezielle Arten, sondern auf Mikroben im Allgemeinen hypersensibel reagiert.
IN DER NASE BOHREN
Auch wenn man nur selten jemanden in der Öffentlichkeit in der Nase bohren sieht, tun es doch die meisten im Schutz der eigenen vier Wände. Studien zufolge beispielsweise 75 bis 90 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung – bisweilen viermal am Tag oder häufiger. Das Nasebohren ist eine Angewohnheit, die man sich als Kind aneignet und für den Rest des Lebens beibehält.
Ist Nasebohren nun harmlos oder kann es krank machen?
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