Warum manche Menschen nie krank werden
denn beim Kümmern und Binden erhöht sich der Oxytocin-Spiegel weiter, und dadurch wird der Stresspegel gesenkt.
Als Genetik-Expertin vermutet Sydney stark, dass ihr die Veranlagung für ein robustes Immunsystem in die Wiege gelegt wurde, und sie fragt sich oft, ob ihre Kontaktfreudigkeit vielleicht auch genetisch bedingt sein könnte. Für sie steht fest, dass soziale Kontakte das Selbstwertgefühl erhöhen, was wiederum das Immunsystem stärkt. »Als sich mein Mann von mir trennte, war ich am Boden zerstört. Durch meine Freunde fand ich die Kraft, wieder aufzustehen und mein Selbstwertgefühl wieder aufzubauen. Wichtig war nicht nur, dass sie mich unterstützten, sondern vor allem auch, dass ich sie unterstützen konnte: Zu wissen, dass andere Menschen sich auf mich verlassen, war unglaublich wichtig für mich.«
Das sind die Fakten
»You’ve got to have friends«, heißt es in einem Lied, und dass jeder Mensch Freunde braucht, klingt selbstverständlich. Ist es aber nicht, denn viele Menschen haben keine Freunde.
»Ich finde einfach keinen Anschluss«, ist ein häufig beklagtes Phänomen des modernen Lebensstils, zu dem es umfangreiche Studien und zahlreiche Erklärungsversuche gibt. Soziologen, unter ihnen der mittlerweile verstorbene Max Lerner, führen das Phänomen auf die massive Zersplitterung der US-amerikanischen Gesellschaft zurück. Während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zog es viele Amerikaner aus ihren ländlichen und kleinstädtischen Gemeinden in die großen Städte, in deren Einzugsgebieten
suburbane Neubaugebiete aus dem Boden gestampft wurden, um den Neuankömmlingen Wohnraum zu bieten. So entstanden unzählige, säuberlich voneinander abgetrennte Lebensbereiche, in denen die Menschen nebeneinander, aber nicht mehr miteinander leben. Soziale Interaktionen, die über Oberflächlichkeiten hinausgehen, sind selten.
In seinem Klassiker The Great Good Place nennt der auf urbane Räume spezialisierte Soziologe Ray Oldenburg drei Orte, die für jeden Menschen von signifikanter Bedeutung sind. Der erste ist das Zuhause, das eine sichere Zuflucht vor der Außenwelt darstellt und somit mehr der sozialen Abgrenzung als der Einbindung dient.
»In Zukunft darf jeder einmal im Leben für 15 Minuten im Rampenlicht stehen und einmal für 15 Minuten zum Arzt.«
– NICOLE HOLLANDER, US-AMERIKANISCHE CARTOONISTIN
Der zweite Ort ist der Arbeitsplatz, an dem in der Regel viele Interaktionen stattfinden, aber selten echte Freundschaften geschlossen werden. Dies liegt zum Teil daran, dass viele Arbeitskollegen Pendler sind, die es nach der Arbeit direkt nach Hause zieht, zum Teil aber auch daran, dass bisweilen strikte Regeln, Vorschriften und Hierarchien den freundschaftlichen und unbekümmerten Umgang miteinander erschweren oder gar verbieten.
Der dritte Ort bezieht sich auf öffentliche Lebensräume, an denen sich Menschen zwanglos begegnen. Briten treffen sich zum Beispiel gerne im Pub, Franzosen im Café und Italiener bevorzugt auf der Piazza und so weiter.
Vergleichbare öffentliche Begegnungsstätten hat das moderne Amerika kaum noch zu bieten, auch wenn das Internet bis zu einem gewissen Grad als virtuelles Wasserloch
fungiert, an dem jeder früher oder später einmal vorbeischaut. Allerdings werden von Angesicht zu Angesicht nachweislich immer noch engere und längerfristige Beziehungen geknüpft als online, da sich Intimität, Vertrauen und gegenseitiges Verständnis über Blickkontakte wesentlich einfacher vermitteln lassen als über Tastaturkontakte.
Seit die Gelegenheiten, echte Freundschaften zu schließen, zusehends schrumpfen, befassen sich immer mehr Studien mit den physischen und psychischen Vorteilen, die mit Freundschaften einhergehen. Wer Freunde hat, leidet seltener unter Angst und Stress. In zahlreichen Studien wurde nachgewiesen, dass Stressreaktionen wie Pulsrasen und erhöhter Blutdruck messbar abklingen, sobald Unterstützung und Hilfsbereitschaft von anderen signalisiert wird. In einem Artikel des Ärzteblatts Journal of the National Medical Association von 2009 hieß es zum Beispiel, dass die Sicherheit eines sozialen Netzwerks Stress abbauen hilft. Anhand von Blutuntersuchungen wurde außerdem festgestellt, dass Menschen, die sich in jeder Beziehung auf die Unterstützung von Freunden und Familienangehörigen verlassen können, vergleichsweise wenige Entzündungsstoffe im Blut haben.
Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten Wissenschaftler der staatlichen Universität
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