Warum Mathematik glücklich macht: 151 verblüffende Geschichten (German Edition)
positive Vorhersagewert nach unserer vorausgehenden Rechnung also 199/698 = 0,285.
Generell ist der positive Vorhersagewert sowohl abhängig von der Prävalenz der Krankheit sowie auch von Spezifizität und Sensitivität des Tests. Gäbe es in der Bevölkerung 1000 HIV-Infizierte auf 100.000 Personen und damit eine Prävalenz von 1 % (in einigen afrikanischen Staaten ist dies in der Tat nicht außergewöhnlich), dann steigt – bleibt alles andere gleich – der positive Vorhersagewert von ELISA auf 0,670.
Die Antwort auf unsere Ausgangsfrage nach dem tatsächlichen Vorliegen von HIV-Infektion bei positivem Test ist also 28,5 %. Die Antwort liegt nicht im Bereich des vielleicht Erwarteten, ja ist überraschend weit davon entfernt. Selbst bei positivem Testresultat ist es immer noch wesentlich wahrscheinlicher, dass keine HIV-Infektion vorliegt. Diese Mitteilung ist auf den ersten Blick erstaunlich, insbesondere wenn man ihr die Tatsache entgegenhält, dass Spezifizität und Sensitivität des Tests den recht hohen Wert von 99,5 % erreichen, was große Untersuchungsgenauigkeit suggeriert.
Eine Frage liegt auf der Hand, und wir stellen sie sogleich: Wenn das vom Test verkündete Ergebnis offenbar in so geringem wahrscheinlichkeitstheoretischen Zusammenhang mit dem Vorliegen der Erkrankung steht, welchen Sinn macht es dann überhaupt, sich dem ELISA-Test zu unterziehen?
Ein Teil der Antwort darauf ergibt sich, wenn man die HIV-negativen Testergebnisse aufschlüsselt und interpretiert. Führt man dies im Detail durch, werden erwartete 99.302 Personen von 100.000 als HIV-negativ diagnostiziert, und von diesen ist bei der überwältigenden Mehrheit von 99.301 Personen eine HIV-Infektion auch tatsächlich nicht vorhanden. Nur bei einer einzigen von 99.302 Personen, was man sofort in 0,001 % umformt, liegt eine HIV-Infektion trotz negativen Testergebnisses vor.
Wir erfassen diese Erkenntnis in dem Resümee: Bei negativem Testresultat kann der Patient so gut wie sicher sein, dass er nicht erkrankt ist.
Man darf sich unter dem ELISA-Test also gewissermaßen einen Suchtest vorstellen. Einen Suchtest, der so gut wie alle HIV-Infizierten unter den mit ihm getesteten Personen auch findet, aber im Prozess seiner Suche nicht anders kann, als über das Ziel hinauszuschießen und auch einige Gesunde den HIV-Infizierten zuzuschlagen. Ist also ein HIV-Test positiv, so müssen deshalb unbedingt weitergehende Untersuchungen vorgenommen werden. Diesen Untersuchungen sollte man sich möglichst in Ruhe unterziehen. Immerhin ist der Nicht-Ernstfall, HIV-negativ zu sein, immer noch das bei Weitem wahrscheinlichere Szenario.
Das hier vorliegende und anhand realistischer Daten studierte Phänomen ist übrigens im Prinzip bei allen medizinischen Testverfahren anzutreffen, ob Schwangerschafts-, Krebs- oder Borreliosetests: Die Wahrscheinlichkeit, bei positivem Testergebnis tatsächlich erkrankt zu sein, ist viel geringer, als es Sensitivität und Spezifizität des Tests suggerieren. Und das ist schon deshalb des Merkens würdig, da sich früher oder später wahrscheinlich ein jeder von uns einem medizinischen Test unterziehen muss.
Auch für technische Systeme wie zum Beispiel Feuermelder gilt entsprechend: Die meisten Alarme sind falsche Alarme.
Um unser laufendes Beispiel noch etwas weiterzuweben: Wie könnte es nach einem positiven ELISA-Test weitergehen?
Dann unterzieht man sich in der Regel dem sehr viel aufwendigeren und kostspieligeren Western-Blot-Test. Er ist in Deutschland und in den USA sogar zwingend vorgeschrieben, wenn ein ELISA-Test positiv ausschlägt. Der Western-Blot-Test hat die sehr hohe Spezifizität von 99,9996 % (nur 4 von 1 Million nichtinfizierten Personen werden fälschlicherweise als HIV-positiv klassifiziert) und eine noch höhere Sensitivität, die man praktisch bei 100 % ansiedeln kann. Wegen dieser hohen Spezifizität ist der Western-Blot-Test hervorragend als Bestätigungstest im Anschluss an einen positiven ELISA-Test geeignet. Und er wird auch so eingesetzt.
Telepath(olog)ie
Als der Heilige Vater in Uganda die Erde küßte, haben sich im selben Moment vielleicht wieder hundert Menschen auf dem schwarzen Kontinent mit AIDS infiziert.
Aus dem Münchener Wochenspiegel, 1.3.1993
Nehmen wir nun einmal fiktiv an, auch der Western-Blot-Test eines schon vorher mit dem ELISA-Test positiv getesteten Menschen würde positiv ausfallen. Wir haben uns bereits das Rüstzeug für den Umgang mit Tests erworben und
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