Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
»Würde er dann nicht austicken?« Würden seine Emotionen dann nicht überkochen? Würde er rausgehen, eine Frau vergewaltigen, umbringen?
Nein. Natürlich wird er sich ohnmächtig fühlen. Er hat verloren. Keine Chance. Er ist gescheitert. Bestimmt wird er Hass und Selbsthass spüren; Aggressionen, die er nicht ertragen kann, für die er normalerweise ein Ventil suchen würde. Aber es gibt noch einen anderen zentralen Anteil in ihm, und diesen Teil seiner Persönlichkeit sprechen wir an.
Seinen Narzissmus: Wenn er nun auf sich gestellt ist, wird er gefasst werden, das dürfte er wissen. Was für eine unerträgliche Vorstellung: Markus Ebert mit seinem genialen Plan wird von einem Spezialkommando in einer dunklen Wohnung überwältigt, auf den Boden gedrückt, die Arme auf den Rücken, Handschellen an, und unter Blitzlichtgewitter mit hinabgedrücktem Kopf abgeführt? Niemals!
»Ich denke, er wird sich stellen«, sage ich.
Vielleicht sucht er dafür den großen Auftritt und steht auf einmal bei einem Fernsehsender vor der Tür, um sich zu inszenieren. Er wird womöglich sagen, dass er sich gestellt habe, weil er es nicht ertragen könne, wie schlecht die Polizei mit Sophia Papadopoulou umgeht. Mit dem einzigen Menschen, der verstanden hat, dass Ebert kein Verbrecher ist, sondern Opfer eines blinden Systems, das ihm seine verdiente Therapie vorenthält. Er wird vielleicht behaupten, dass sie nichts mit seiner Flucht zu tun habe. Dass er geflohen sei, weil ihm keiner helfen wollte. Er wäre kein verlassener Hilfsbedürftiger, sondern ein aufrechter Retter. Wenn wir ihm diese Tür öffnen, wird er sie durchschreiten und sich stellen, davon bin ich überzeugt.
Wir schlafen noch eine Nacht darüber. Am nächsten Tag fällt die Entscheidung. Wir brauchen einen Haftbefehl für Sophia Papadopoulou. Wir müssen sichergehen, dass Ebert schnell von der Festnahme erfährt, denn allzu lange werden wir Papadopoulou nicht in U-Haft halten können. Ebert muss aber genügend Zeit haben, um zu begreifen, wie misslich seine Lage ist. Glücklicherweise ist es Ende Dezember, das bietet uns einen günstigen Termin für die Festnahme. Wir werden Sophia Papadopoulou am Freitag, den 28. Dezember, festnehmen. Ein Wochenende, danach Silvester und Neujahr – vier Tage Zeit für Ebert, um nachzudenken. Damit er die Botschaft schnell und eindrucksvoll bekommt, laden wir eine Journalistin ins Präsidium und erklären ihr die Hintergründe.
Am 28. Dezember um 17 Uhr ist es so weit. Die Fahnder der Soko fahren vor der Anwaltskanzlei vor, in der Papadopoulou gerade einen Termin hat. Die MEK -Männer warten, bis sie auf die Straße tritt, nehmen Sophia Papadopoulou fest, führen sie in Handschellen ab. Ein Kamerateam wartet bereits, die von uns eingeweihte Journalistin hält Sophia Papadopoulou das Mikrophon hin und bedrängt sie mit Fragen: »Wie können Sie einen Mörder unterstützen? Warum verraten Sie nicht das Versteck? Können Sie versprechen, dass er nicht mehr mordet?« Papadopoulou schweigt. Sie wird die nächsten Nächte im Untersuchungsgefängnis verbringen. Sie verweigert anfangs die Aussage. Noch am selben Abend wird Markus Ebert in seinem Versteck die Bilder der Verhaftung sehen können. Er wird sich sehr einsam und verlassen fühlen.
Es ist eine Nacht mit wenig Schlaf für uns.
Die gesamte Soko verbringt sie im Präsidium, wir schlafen nicht und trinken viel Kaffee. Immer wieder taucht der Gedanke auf: Was ist, wenn wir falschliegen, wenn Ebert jetzt durchdreht? Eine vierte Frauenleiche? Aber was sonst hätten wir tun können? Noch wochenlang observieren, mit dem Risiko, dass es zwischen den Helfern eskaliert und Ebert zuschlägt? Nein, wir sind uns sicher, dass wir das Richtige getan haben.
Warten. Das ist alles, was wir jetzt tun können.
Am Abend des 30. Dezember betritt ein Mann die Polizeiwache in Hamburg-Uhlenhorst. Er ist sehr dünn, sein Haar ist lang und rot gefärbt. Er sagt: »Ich bin Markus Ebert.« Der Mann hat sein Aussehen in den vergangenen Monaten verändert. Der Auftritt ist nicht ganz so groß, wie ich es ihm zugetraut hätte, aber wir haben ihn. Ebert hat in seinem Rucksack 157 000 Mark in bar. Er schweigt über seine Helfer und sein Versteck, doch wir können es später anhand eines Schlüssels, den er bei sich trug, ausfindig machen. Er behauptet, dass er geflohen sei, um auf die Missstände in der Klinik aufmerksam zu machen. Dazu habe er seine Popularität nutzen wollen.
Ich begegne Ebert bald nach
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