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Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
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Erwachsene und Themen für Kinder. Welche Themen in welche Sphäre gehören, legten dabei ausschließlich die Erwachsenen fest, auf die Idee, so etwas mit den Kindern auszudiskutieren kam man nicht.
    Noch besser war es, wenn die fraglichen Themen gar nicht erst in die Reichweite von Kinderohren gelangten. Partnerschaftsprobleme der Eltern, schwierige Fragen von Krankheit und Tod, zukunftsweisende Entscheidungen finanzieller Natur, Krieg und natürlich auch viele Fragen der Sexualität, all das waren Themen, die nach Möglichkeit am Abend, wenn die Kinder im Bett waren, besprochen wurden. Intuitiv war dieser Elterngeneration klar, dass es eine ganze Reihe von Themen gibt, die Kinder überfordern und sie im Alltag stark belastet hätten. Das Fernhalten der Kinder von diesen Diskussionen hatte also einen durchaus positiven Grund: Die Unbeschwertheit der Kindheit sollte bewahrt werden, die Kinder sollten geschützt werden und behütet aufwachsen.
    Es lassen sich für diese Art des Umgangs mit Kindern viele weitere Beispiele finden. Stand eine Einladung unter Erwachsenen an, waren Kinder häufig ausschließlich in der Begrüßungssituation anwesend, von den anschließenden Gesprächen wurden sie nach Möglichkeit ferngehalten, meist mit der einfachen Methode, ihnen eine Gelegenheit zum Spielen zu geben. Auch die Gestaltung der Fernseh-Nutzung war so abgestimmt, dass Kinder nach Möglichkeit keine Nachrichten oder Filme mit Gewalt- oder Liebesszenen sehen durften. Dazu kamen feste Regeln für Bettzeiten, die einen Konsum spätabendlicher Filme mit höherer Altersfreigabe ohnehin nicht ermöglichten.
    Kurzum: Es war völlig normal, dass das Gros der wichtigen Entscheidungen von Erwachsenen getroffen wurde und die Kinder das Ergebnis zu akzeptieren hatten. Der Grund dafür war stets die Anerkennung einer unsichtbaren Grenze
zwischen Erwachsenenwelt und Kinderwelt, erkennbar beispielsweise auch an der Tatsache, dass wertende Äußerungen über Erwachsene Kindern nicht zugestanden wurden, sondern dem Kind zumindest verbal deutlich gemacht wurde, dass es sich so etwas nicht herausnehmen dürfe. Diese verbale Sanktionierung kam dann auch in Form einer Feststellung daher (»So redet man nicht über Erwachsene!«) und nicht mit dem Versuch einer ausführlichen Begründung, warum das so sei.
    All diese Erziehungsstrategien wurden zu jener Zeit noch gar nicht als »Strategie« empfunden, denn dieses Wort impliziert wie vielleicht kein zweites den Wandel, der nach und nach einsetzte. Strategien entstehen nach reiflicher Überlegung im Kopf, sie berücksichtigen ein Pro und ein Contra. Wer strategisch handelt, wägt ab und versucht, schließlich eine Vernunftentscheidung zu treffen.
    Auf erzieherische Fragen angewendet bedeutet das nicht grundsätzlich etwas Negatives: Natürlich soll Kindererziehung vernünftigen Richtlinien folgen. Doch diese Medaille hat zwei Seiten. Die ausschließliche Verlagerung des Erziehungshandelns in den Kopf bedeutet nämlich auch eine Abkehr von jener intuitiven Erziehung, die etwa die beschriebene Trennung zwischen Erwachsenen- und Kinderwelt als eine ihrer Grundkonstanten ansah und nie in Frage gestellt hätte, dass es eine hierarchisches Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern gibt, das erstere über letzteren ansiedelt.
    All dies geschah in einer Zeit, in der der technologische Wandel im Vergleich zu heute eher gemütlich unterwegs war. Welche Bedeutung der Computer schon in naher Zukunft für unser aller Leben haben sollte, war um 1990 herum allenfalls zu erahnen. Indes: Zu Beginn der 90er-Jahre nahm diese Entwicklung allmählich Tempo auf. Die Technik begann, die Welt immer enger zusammenzuschließen, Informationen
aus den entlegensten Winkeln der Erde waren im heimischen Wohnzimmer ständig verfügbar, nach und nach kam eine Ahnung davon auf, was wir heute mit dem Schlagwort der Globalisierung zu beschreiben versuchen. In dem die Außenwelt immer näher an die eigene Sphäre heranrückte, fielen somit auch die vorher selbstverständlichen Abgrenzungen innerhalb der Erwachsenenwelt. Man begann plötzlich, sich »irgendwie« für die ganze Welt (und vor allem für das Elend in ihr) verantwortlich zu fühlen.
    Diese Veränderungen im Verhältnis des Menschen zu seiner Umgebung konnten nicht ohne Auswirkung auf den Umgang mit Kindern bleiben. Es ergaben

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