Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
Vom Netzwerk:
überhaupt anwenden zu können.
    Die Notwendigkeit ständigen Trainings beschränkt sich im Übrigen nicht auf die Herausbildung psychischer Funktionen, sondern bezieht sich genauso auf alltägliche Abläufe wie beispielsweise das Abräumen des Frühstückstisches oder auch die Körperhygiene. So dauert es etwa zunächst einmal unglaublich erscheinende vier Jahre, bis ein Kind in der Lage ist, eigenständig die Teller vom Tisch zu räumen, ohne, dass damit ein Auftrag oder eine sonstige Beteiligung der Eltern verbunden wäre. Mit etwa fünf Jahren beginnt ein Kind, die Fähigkeit dazu zu entwickeln, doch erst der Neunjährige wird durch ständiges Training gelernt haben, dass dieses Tellerabräumen einen bestimmten logistischen Sinn im Haushalt erfüllt und deswegen notwendig ist. Die Verinnerlichung von Abläufen bei der Körperhygiene dauert noch wesentlich länger.
    Damit kein Missverständnis aufkommt: Kinder sind von sich aus wissbegierig, möchten gerne lernen, haben sogar regelrecht Spaß daran, sie wollen expandieren, sich möglichst schnell weiterentwickeln. Trotzdem müssen sie angeleitet werden. Lernen besteht dabei häufig aus Wiederholungen. Es ist dabei oft langweilig und noch häufiger richtig anstrengend. Das führt dazu, dass Kinder diese Leistungserbringung meiden, wenn sie ihnen nicht von außen abverlangt wird. Ein gutes Beispiel dafür, an das sich die meisten von
uns noch gut aus eigenen Schulzeiten erinnern können, ist das leidige Vokabellernen in den Fremdsprachen. Ohne die ständige Wiederholung der Vokabeln wird es nie möglich sein, eine fremde Sprache gewinnbringend einzusetzen.
    Das Kind selbst kann aber die Übersicht gar nicht besitzen, um diesen Zusammenhang des Lernvorgangs zu überblicken. Das heißt: Die psychischen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Lernen, also beispielsweise eine adäquate Lernhaltung, müssen antrainiert werden, und zwar bei allen Kindern gleich. Ein Kind kann nicht von sich aus ruhig zuhören, sitzen bleiben, abwarten, nur reden, wenn es aufgefordert wird. All dies muss gelernt werden, trainiert, immer und immer wieder. So müsste bei den Hausaufgaben im ersten Schuljahr ein Erwachsener daneben sitzen und das Kind liebevoll aber bestimmt anleiten, idealerweise mit großer innerer Ruhe. Anschließend wäre es gut, wenn das Kind während der gesamten Grundschulzeit die Hausaufgaben immer in der Nähe dieser Bezugsperson macht, da in diesem Alter ein personenbezogenes Arbeiten stattfindet. Den schönen Grundsatz »non scholae sed vitae discimus« kann ein Grundschulkind nicht verstehen, es wird seine Leistung immer für die Eltern, für die Lehrer oder andere enge Bezugspersonen aus seinem Lernumfeld erbringen. Der Erwachsene würde dabei über die Abfolge und die Menge des Lernens entscheiden (damit auch über die notwendige Menge an Wiederholungen des Stoffs) und selbstverständlich auch die Qualität beurteilen.
    Diese Beispiele mögen eine Ahnung davon geben, wie absurd es ist, davon auszugehen, die menschliche Psyche entwickele sich automatisch und sei irgendwann im Erwachsenenalter derart ausgereift, dass der Mensch den Anforderungen des Lebens von alleine gewachsen sei. Da man die Entwicklung der Psyche und ihrer Funktionen jedoch nicht sehen
kann, geht ein Großteil der Menschen genau von dieser Vorstellung aus.
    Ein Fallbeispiel: Adrian
    Adrian fiel schon lange vor der Einschulung auf. Er begleitete seine Mutter oft mittags, wenn der ältere Bruder aus der Schule abgeholt werden sollte. Dabei kam es immer wieder zu lautstarken Auseinandersetzungen mit der Mutter auf dem Parkplatz vor dem Schulgelände bzw. auf dem Schulhof. Adrian schrie und tobte, weinte und jammerte lauthals, weil ihm etwas nicht passte. Beobachtungen ergaben, dass die Mutter nie irgendwelche Maßnahmen ergriff, das ungebührliche und peinliche Verhalten des Kindes zu unterbinden.
    Adrian zeigte auch beim so genannten Unterrichtsspiel bei der Anmeldung ein auffälliges Verhalten. Er ließ sich nicht auf die gestellten Aufgaben ein und beschäftigte sich anderweitig. Adrian wurde dennoch eingeschult - und zwar auf Drängen der Eltern und Empfehlung des Kindergartens.
    Schon von Anfang an war er in keiner Tischgruppe tragbar, lag meistens halb auf dem Tisch, belästigte die Tischnachbarn. Er erhielt einen Einzeltisch, kam aber zu den besten

Weitere Kostenlose Bücher