Warum unsere Kinder Tyrannen werden
sich langsam Verschiebungen, die auf gesellschaftlichem Konsens beruhen, mit deren Auswirkungen auf die kindliche Psyche wir uns aber heute in zunehmenden MaÃe auseinandersetzen müssen.
Der vom gesellschaftlichen Wandel überforderte Mensch, der beim Versuch des Schritt-Haltens mit den anderen auch vieler Kontakte zu anderen Erwachsenen verlustig ging, begab sich auf die Suche nach Ersatz und fand ihn im Kind. In der Folge entwickelte sich eine Beziehung zum Kind, die sich gut mit einem Blick auf das Verhalten von Manuel, einem 13-jährigen Schüler, der mit seiner alleinerziehenden Mutter in einer Wohung lebt, veranschaulichen lässt.
Ein Fallbeispiel - Eine Lehrerin erzählt aus ihrem Alltag
Ich stehe zusammen mit einer Kollegin im Flur, um etwas zu besprechen. Ein Junge kommt mitten im Gespräch dazu und unterbricht uns. Ich sage daraufhin, dass ich - wie er sehen könne - gerade keine Zeit habe. Der Junge lässt sich nicht beirren und berichtet weiter über seinen
Vorfall. Auf meine nochmaligen Hinweis, einen Moment zu warten, kommt die Antwort: »Wann seid ihr denn endlich fertig, jetzt bin ich dran. Ich muss was wissen zur Hausaufgabe. Und jetzt bin ich hier, und du hast keine Zeit. Meine Mutter findet das auch nicht gut.« Antwort der Mutter, als ich sie darauf anspreche: »Er ist eben sehr wissbegierig und möchte immer alles gleich verstehen. Das ist bei solch interessierten und aufgeweckten Kindern so: Die sind ein wenig ungeduldig.«
Kapitel 5
Erste Beziehungsstörung: Partnerschaftlichkeit - Kinder werden aus der untergeordneten Rolle zwangsbefreit
Folgendes Fallbeispiel zeigt eine nicht uncharakteristische Szene aus einer deutschen Familie: Manuels Mutter hat Post vom Jugendamt bekommen. Diese liegt offen auf dem Esstisch, während Manuels Mutter sich mit einer Bekannten unterhält, die zum Kaffee zu Besuch gekommen ist. Während dieses Gesprächs der beiden Frauen betritt Manuel den Raum, spricht seine Mutter an, um ihr zu sagen, er gehe nun nach drauÃen. Die Anwesenheit der Bekannten ignoriert er und nimmt sich gleichzeitig das Schreiben vom Amt, um es zu lesen.
Die Mutter möchte nun gerne wissen, wo ihr Sohn hingehen will, und fragt ihn danach. Manuel jedoch überhört die Frage und kommentiert stattdessen den Inhalt des Schreibens. Als er sich schlieÃlich anschickt, den Raum zu verlassen, ohne die Frage der Mutter nach seinem Ziel beantwortet zu haben, wiederholt diese die Frage. Erst jetzt, sichtlich genervt, reagiert er mit einer unwirschen Antwort und verlässt schlieÃlich den Raum, ohne die Türe zu schlieÃen.
Während dieser ganzen Szene sitzt immer noch die Bekannte der Mutter im Zimmer, scheint jedoch vor allem für Manuel gar nicht existent zu sein.
Interessant ist die Reaktion der Mutter, als sie auf das Verhalten ihres Sohnes angesprochen wird. Sie habe gar nicht
registriert, dass Manuel ein an sie gerichtetes Schreiben gelesen habe, ohne sie um Erlaubnis zu fragen. Der Grund ist schlicht, dass es häufig vorkommt, dass der Sohn die Post der Mutter öffnet, liest und auch noch kommentiert. Ohnehin, so die Mutter, bespräche sie oft wichtige Belange mit Manuel, empfinde ihn als »pfiffig« und habe das Gefühl, er »treffe oft den Nagel auf den Kopf«.
Selbst das abweisende und unfreundliche Verhalten beim Verlassen des Zimmers und die Reaktion auf ihre Frage nach seinem Ziel kommen der Mutter nicht ungewöhnlich vor und stimmen sie nicht ärgerlich.
Gleichzeitig allerdings macht sie sich Sorgen um seine nachlassenden schulischen Leistungen und beschwert sich, dass er sich hinsichtlich der Hausaufgaben von ihr gar nichts mehr sagen lasse.
Auf die Frage, wie sie ihr Verhältnis zu ihrem Sohn definieren würde, antwortet sie quasi programmatisch mit dem Begriff, der die erste Stufe meines Modells kennzeichnet: Der Umgang mit Manuel sei »partnerschaftlich«.
Manuel ist der Partner seiner Mutter. In diesem kurzen Satz liegt ein ungeheures Ausmaà an Tragik. Manuels Mutter hat sich bereits ein gutes Stück weit aus ihrer Rolle als Erzieherin ihres Sohnes verabschiedet. Sie ist zwar noch erziehungsberechtigt, jedoch kaum noch erziehungsbefähigt. Ihre soziale Situation als Alleinerziehende spielt als Hintergrund sicher eine Rolle, der Druck, der täglich auf ihr lastet, für das Auskommen der zweiköpfigen Familie zu sorgen. Damit wird eine individuelle
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