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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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gern, daß du zum Arzt gehst.»
    «Ich rufe heute nachmittag Noel an.»
    «Ja?»
    «Am Samstag wird er nicht dasein.»
    «Dann wird ihn der Anrufdienst verständigen.»
    «Solche Dienste sind dazu da, die Schreie der Sterbenden zu ersticken», sagte sie.
    «Wenn ich heute nur nicht arbeiten müßte», sagte er. «Mit seinem Weggang hat Charlie eine mittlere Katastrophe ausgelöst.»
    Sie stand abrupt auf und trug die Teller in die Küche. Als sie zurückkam, war er im Wohnzimmer und sah seine Aktentasche durch. Sie erblickte ein Buch, das an einer Ecke hervorschaute, griff träge danach und zog es heraus, um den Titel lesen zu können. Dann schlug sie es bei einem Zettel auf, der als Lesezeichen diente.
    «Liest du das gerade?» fragte sie.
    Er blickte auf das Buch und nickte. Es war
Der Tod des Iwan Iljitsch
.
    Sie ging mit ihm zur Wohnungstür.
    «Er ist weg», sagte sie, während sie durch die Glaseinsätze schaute.
    «Wer?»
    «Der Neger. Einfach weggegangen.»
    «Ein Engel hat ihn fortgetragen», sagte er. «Die Katze ist nicht mehr zurückgekommen, oder?»
    «Ich habe sie nicht gesehen.»
    Er machte eine Pause, griff nach dem Türknauf, dann berührte er ihr Haar. «Bist du heute nacht heruntergekommenund hast gelesen? Ich bin einmal aufgewacht, und du warst nicht im Bett.»
    Sie begann zu lachen, ohne es zu wollen, und versuchte aufzuhören.
    «Sophie?»
    «Ich war nicht einmal hier im Haus», sagte sie. «Charlie ist gekommen.»
    «Charlie!»
    «Charlie kam mitten in der Nacht hierher und wollte reden. Er wollte dich sehen, sagte er. Er war etwas angetrunken. Wir sind in eine Bar in der Clark Street gegangen.» Sie lachte immer noch.
Fou rire,
sagte sie streng zu sich selbst.
    Er zog sie zurück in den Flur.
    «Warum hast du mich nicht geweckt? Warum hast du kein Wort gesagt bis jetzt, wo ich gehen muß?»
    «Deswegen lache ich. Weil ich es vergessen habe. Ich habe es einfach vergessen.»
    Er ließ seine Aktentasche auf den Boden fallen. «Du bringst mich noch zur Raserei», sagte er leise.
    «Warum hast du ‹viel Glück, Kumpel› zu ihm gesagt?» fragte sie störrisch und wünschte sofort, sie hätte es nicht getan. Sie hatte ihm gegenüber einen Anflug von Ungeduld verspürt; ihr eigenes Lachen hatte sie aus der Fassung gebracht, denn sie hatte ihn nicht beschämen wollen, und genau das hatte sie mit ihrem Hinweis auf seine Dummheit erreicht, eine Beleidigung, die sie nicht zurücknehmen konnte.
    «Es tut mir leid», rief sie. «Oh … entschuldige bitte.»
    Seine Stimme war fast unhörbar. «Bemüh dich nicht, mir sonst noch irgend etwas zu erzählen …»
    «Er war wütend», sagte sie hilflos. «Er hat versucht, über mich an dich heranzukommen. Er war verletzt, weil er das Gefühl hat, du würdest der Angelegenheit nicht das richtigeGewicht beimessen, dem Ende eurer Partnerschaft … daß du gleichgültig bist. Ach, ich weiß nicht …»
    Er schaute verdutzt auf seine Armbanduhr. «Ich habe über die Jahre einen so großen Teil der Arbeit erledigt», sagte er. Sein Ton war maßvoll, aber sein Blick war starr auf ihre Schulter gerichtet, die einen schwachen Druck verspürte, so, als lehnte er sich gegen sie. «Charlie hat Charme. Er hat etwas Einschmeichelndes, verstehst du, darin ist er Experte.» Er machte eine Pause. Sie fühlte, daß er redete, ohne allzuviel nachzudenken, und sie wußte, daß er nicht besonders an die Wirksamkeit von Worten glaubte, die letzten Endes nur für das ausreichten, was gesagt werden konnte. Die Wahrheit über die Menschen hatte nicht viel mit dem zu tun, was sie über sich selbst oder was andere über sie sagten. Sie spürte, wie Mitgefühl mit ihm sie durchströmte. Er war nicht imstande, das auszudrücken, was er wollte.
    «Ich weiß», sagte sie rasch. «Ich weiß genau, was du meinst.» Es berührte sie tief, daß weder sie noch er es wußten. Er sah sehr müde aus. «Mußt du gehen?» fragte sie.
    «Die Akten …», sagte er. «Es gibt so viel Arbeit. Er nimmt so viel vom Betrieb mit. Ich weiß noch nicht einmal, wie viele Mandanten.»
    «Er ist dir nicht egal.»
    «Nein. Er hat auch mich eingewickelt.»
    «Aber du hast Mandanten, die lieber bei dir bleiben.»
    «Ja?» Er lächelte vage. Es drängte sie, ihm über den Anruf und Charlies Geständnis zu berichten. Daß sie als Ottos lustlose Verteidigerin Stunden mit Charlie verbracht hatte, war eine Sache. Aber daß er angerufen und wie ein Geistesgestörter in die Telefonmuschel gehaucht hatte, schien ihr eine

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