Was dein Herz dir sagt
»Lass uns sehen, wen wir sonst noch so treffen.«
Zwei weitere Gastgeberinnen von Ruf, und dann erschien zu ihrer nicht geringen Überraschung Muriel Hedderwick auf dem Weg vor ihnen.
»Caro.« Sie nickte Caro zu, dann sah sie zu Michael.
Er griff nach ihrer Hand, verneigte sich darüber. Muriel erwiderte seinen höflichen Gruß, dann wandte sie sich wieder an Caro.
»Bist du zu einer Versammlung hier?« Caro wusste, dass Muriel selten aus einem anderen Grund nach London kam.
»Ja«, erwiderte Muriel. »Die Gesellschaft zur Förderung älterer Waisenkinder. Die Gründungsversammlung war gestern. Unser Ziel ist nämlich ...« Sie begann lang und breit von den hehren Zielen der Gesellschaft zu erzählen.
Michael trat von einem Fuß auf den anderen. Caro kniff ihn in den Arm. Es war zwecklos, Muriel zu unterbrechen; sie würde nicht aufhören, ehe sie gesagt hatte, was sie sagen wollte. Jeder Versuch, sie abzulenken, würde die Sache nur unnötig in die Länge ziehen.
Muriels Redeschwall versiegte schließlich. Sie betrachtete Caro eindringlich. »Wir haben heute Abend eine Vorstandssitzung. Da du nun wieder dauerhaft in England lebst, sollte ich meinen, dass das genau die Gesellschaft ist, der du gerne einen Teil deiner Zeit widmen würdest. Ich möchte dich sehr nachdrücklich auffordern, dich zu beteiligen - das Treffen wird um acht Uhr stattfinden.«
Caro lächelte. »Danke für die Einladung. Ich werde mich bemühen zu kommen.« Aus Erfahrung wusste sie, dass dies genau so ein Fall war, wo einfache Ausflüchte für alle das Beste waren. Wenn sie gleich ablehnte und sagte, sie sei schon anderweitig verpflichtet, würde Muriel sich nur veranlasst fühlen, nicht eher lockerzulassen, bis Caro nachgab und zu kommen versprach. Sie machte sich im Geiste eine Notiz, sich das nächste Mal, wenn sie sich trafen, für ihr Fernbleiben an diesem Abend zu entschuldigen.
Sie spürte Michaels Blick, drückte seinen Arm, damit er schwieg. Lächelte Muriel freundlich an.
Die nickte, so hochmütig wie immer. »Wir treffen uns in der Alder Street Nummer vier, gleich hinter Aldgate.«
Michael runzelte die Stirn. Er sah zu Caro - sie kannte London nicht so gut, nicht jenseits der besseren Viertel.
Sie bestätigte seine Einschätzung, indem sie nickte und lächelte. »Ich hoffe, dich und den Rest des Komitees dort zu sehen.«
»Gut.« Mit einem weiteren knappen Nicken und einem herablassenden Blick für ihn verabschiedete Muriel sich.
Er unterdrückte den Drang, ihr zu sagen, dass, wenn sie nach Aldgate wollte, sie besser einen Lakai mitnehmen sollte, und zwar einen stämmigen; Muriel würde eine solche Bemerkung als Anmaßung empfinden.
Er wartete, bis sie außer Hörweite war, ehe er leise bemerkte: »Du wirst an keinem Treffen in der Nähe von Aldgate teilnehmen.«
»Natürlich nicht.« Caro nahm wieder seinen Arm; gemeinsam schlenderten sie weiter. »Ich bin sicher, der Vorstand besteht aus einer Reihe eifriger und interessierter Mitglieder - sie werden bestens ohne mich auskommen. Aber Muriel ist wie besessen mit ihren Gesellschaften und Vereinen - sie scheint nicht hinnehmen zu wollen, dass andere nicht ebenso daran interessiert sind wie sie.« Sie lächelte zu ihm empor. »Aber jedem das seine.«
Er erwiderte ihren Blick. »In dem Fall lass uns zum Tee bei Honoria aufbrechen.«
Gewiss war es wesentlich frivoler als eine Vorstandssitzung der Gesellschaft zur Förderung älterer Waisen - aber auch wesentlich entspannender.
Sie saßen nicht im formalen Empfangssalon, sondern in einem wunderhübsch eingerichteten Wohnsalon, der auf die Gärten und die Terrasse auf der Hinterseite des Hauses am Grosvenor Square hinausging, tranken Tee, verzehrten Kuchen und Scones und berichteten, wie es ihnen ergangen war seit ihrem letzten Zusammentreffen.
Innerhalb von Sekunden, nachdem sie Honorias Hand genommen hatte und sie von ihr herzlich umarmt worden war, hatte Caro das Gefühl, als lösten sich die Jahre in nichts auf. Honoria war drei Jahre älter als sie; in ihrer Kindheit waren sie enge Freundinnen gewesen. Doch dann waren Honorias und Michaels Eltern bei dem tragischen Kutschenunfall ums Leben gekommen; das Ereignis hatte Caro und Honoria auseinandergerissen, nicht nur räumlich.
Sie waren sich damals und jetzt auch noch, überlegte Caro, einfach in vielen Dingen ähnlich gewesen. Wenngleich Honoria die schärfere Beobachterin von ihnen beiden war, so war sie selbst die Selbstbewusstere, Selbstsicherere.
Sie war in
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