Was der Hund sah
Helen Handfield-Jones und Beth Axelrod, die drei Projektleiter, in ihrem Buch Der Kampf um die Besten . Sie kamen zu dem Schluss, dass die erfolgreichsten Unternehmen diejenigen waren, deren Manager sich das Thema Talent auf die Fahnen geschrieben hatten. Unablässig waren sie auf Personalakquise und suchten und verpflichteten nur die Besten. Die Stars wurden aussortiert, überproportional honoriert und konsequent in immer höhere Positionen befördert. »Setzen Sie auf die natürlichen Athleten, die Mitarbeiter mit den größten angeborenen Fähigkeiten«, zitieren die Autoren einen Manager von General Electric. »Haben Sie keine Angst davor, Stars ohne spezifische Erfahrung zu befördern und zu überfordern.« Nach Ansicht von Michaels, Handfield-Jones und Axelrod erfordert der Erfolg in modernen Unternehmen eine »Talent-Mentalität«, und damit vertreten sie »die feste Überzeugung, dass ein Unternehmen, das auf allen Ebenen nur die Besten verpflichtet, seine Konkurrenten überflügelt«.
Der »Kampf um die Besten« ist die neue Managementmode. Mit ihm wird gerechtfertigt, dass die Abschlüsse von hochkarätigen Business Schools so hoch bewertet und die Bezüge der Topmanager so fürstlich gestaltet werden. In modernen Unternehmen gilt, dass das System nur so stark ist wie seine Stars, und diese Botschaft war in den vergangenen Jahren das Mantra von Beratern und Managementgurus in aller Welt. Niemand hat sie jedoch mit derartigem Eifer verbreitet wie McKinsey, und ein ganz bestimmter Konzern hat sich den Kampf um die Besten besonders zu Herzen genommen. In diesem Konzern führte McKinsey zwanzig Einzelprojekte durch und stellte im Jahr eine Rechnung von 10 Millionen Dollar. An den Aufsichtsratssitzungen nahm regelmäßig eine Führungskraft von McKinsey teil, und der CEO selbst war früher Partner bei McKinsey gewesen. Dieser Konzern war natürlich Enron.
Der Enron-Skandal liegt inzwischen ein Jahr zurück. Der Ruf von Jeffrey Skilling und Kenneth Lay, den beiden Topmanagern des Unternehmens, wurde gründlich ruiniert. Arthur Andersen, der Wirtschaftsprüfer von Enron, ist nahezu bankrott, und nun wenden sich die Ermittler den Investmentbankern von Enron zu. Nur ein Enron-Partner kam ungeschoren davon: McKinsey. Das ist umso erstaunlicher, als das Beratungsunternehmen letztlich die Blaupausen für die Enron- Kultur lieferte. Enron war das ultimative »Unternehmen der Besten«. Als Skilling 1990 die Abteilung Enron Capital and Trade ins Leben rief, »beschloss er, einen steten Strom der besten Absolventen der Universitäten und Business Schools, die er finden konnte, in sein Unternehmen zu holen, um einen Talentvorrat anzulegen«, schreiben Michaels, Handfield-Jones und Axelrod. In den neunziger Jahren verpflichtete Enron Jahr für Jahr 250 frischgebackene MBAs. »Wir hatten einen sogenannten ›Super-Samstag‹«, erinnert sich ein früherer Enron-Manager. »Ich habe Vorstellungsgespräche mit Harvard-Absolventen geführt, und diese Kids haben mich einfach umgehauen. Die haben Sachen gewusst, von denen hatte ich nicht mal gehört.« Bei Enron erhielten diese vermeintlichen Mehrleister Spitzengehälter und wurden ohne Rücksicht auf Erfahrung befördert. Bei Enron zählten nur die Stars. »Das Einzige, worin wir bei Enron uns von der Konkurrenz unterscheiden, sind unsere Leute, unsere Talente«, sagte der frühere Enron-CEO Lay den Beratern von McKinsey, wenn sie ihn in der Konzernzentrale in Houston besuchten. Oder wie ein ehemaliger leitender Manager dem McKinsey-Partner Richard Foster erklärte, der Enron im Jahr 2001 in seinem Buch Creative Destruction feierte: »Wir stellen hochintelligente Leute ein und zahlen ihnen mehr, als sie ihrer Ansicht nach wert sind.«
Das Enron-Management hielt sich also genau an das, was ein Konzern nach Ansicht von McKinsey tun musste, um in der modernen Wirtschaft erfolgreich zu sein. Es verpflichtete die Besten und Intelligentesten - und ist heute bankrott. Die Gründe für diesen Zusammenbruch sind natürlich komplex. Aber könnte es nicht sein, dass Enron nicht trotz des Kampfs um die Besten scheiterte, sondern genau deshalb? Kann es sein, dass intelligente Menschen überbewertet werden?
2.
Herzstück der McKinsey-Vision ist ein Prozess, den die Erfinder des Kampfs um die Besten als »Differenzierung und Affirmation« bezeichnen. Arbeitgeber müssen sich demnach ein- oder zweimal im Jahr zusammensetzen, »eine offene, analysierende und rückhaltlose Diskussion über
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