Was der Hund sah
dass sie den Nutzen der Mammografie unterschätzt. Eines ist jedoch unbestritten: Geübte Finger können sehr viel über die Gesundheit einer Brust herausfinden, und wir sollten nicht automatisch das, was wir auf einem Bild erkennen, höher bewerten als das, was wir mit anderen Sinnen wahrnehmen.
»Die Finger haben Hunderte Tastsensoren pro Quadratzentimeter«, erklärt Mark Goldstein, Psychophysiker und Gründer von Mamma-Care, einem Unternehmen, das Mediziner und Pflegepersonal in die Kunst der klinischen Untersuchung einführt. »Kein Apparat kommt auch nur annähernd an die Empfindlichkeit des menschlichen Fingers heran. Es ist ein geniales Instrument. Leider vertrauen wir unserem Tastsinn weniger als unseren Augen.«
4.
In der Nacht des 17. August 1943 starteten 200 B-17-Bomber der Achten Luftflotte der United States Air Force von einem Flugplatz in England und nahmen Kurs auf die deutsche Stadt Schweinfurt. Zwei Monate später bombardierten 228 B-17 Bomber die Stadt ein zweites Mal. Diese Luftangriffe gehören zu den schwersten des gesamten Krieges, doch was die Alliierten in Schweinfurt erlebten, ist ein weiteres Beispiel für ein subtileres - aber oftmals gravierendes - Problem, das sich aus unserem Vertrauen in das Bild ergibt.
Die Luftangriffe auf Schweinfurt wurden durchgeführt, weil sich die Air Force der Vereinigten Staaten auf Präzisionsschläge spezialisieren wollte. Wie Stephen Budiansky in seinem neuen Buch Air Power beschreibt, hatten die Luftstreitkräfte im Ersten Weltkrieg gelernt, dass es keine leichte Aufgabe war, ein Ziel aus einer Höhe von drei- oder viertausend Metern Höhe zu treffen. Inmitten einer Luftschlacht mussten die Piloten die Geschwindigkeit des Flugzeugs, die Richtung und Stärke der Seitenwinde und das Schwanken des Flugzeugs einberechnen und Ziel nehmen. Die Aufgabe war unmöglich, denn sie verlangte komplexe trigonometrische Berechnungen. Aus diesem Grund gaben die Briten die Vorstellung eines Präzisionsschlags auf und verfolgten in beiden Weltkriegen die Strategie des Flächenbombardements. Sie luden ihre Bomben einfach unterschiedslos über den Städten ab, mit dem Ziel, die deutsche Zivilbevölkerung obdachlos zu machen, zu demoralisieren und zu töten.
Die amerikanische Militärführung hielt das Problem der Präzisionsschläge jedoch für lösbar. Eine wichtige Rolle kam dabei einem Gerät mit dem Namen Norden Bombsight zu. Erfinder war der ebenso geniale wie streitsüchtige Einzelgänger Carl Norden, der eine Fabrik in New York City hatte. Er baute einen 25 Kilogramm schweren mechanischen Computer namens Mark XV, der mit Hebeln, Zahnrädern und Walzen Geschwindigkeit, Höhe und Winde berechnete, um den exakten Abwurfpunkt zu ermitteln. Nordens Partner prahlte, mit dem Mark XV könne man aus 6 000 Meter Höhe eine Bombe in einem Gurkenfass versenken. Die Vereinigten Staaten ließen sich die Entwicklung 1,5 Milliarden Dollar kosten - etwa halb so viel wie die Atombombe. »Die Geräte wurden auf den Flugplätzen in unterirdischen Bunkern unter Verschluss gehalten, von bewaffneten Wachen zu den Flugzeugen gebracht und bis nach dem Start mit Planen verdeckt«, schreibt Budiansky. In der Überzeugung, dass die Bomber alles treffen konnten, was sie sahen, ging die amerikanische Militärführung strategisch vor und suchte nach Zielen, die für die deutschen Kriegsanstrengungen entscheidend waren. Im Jahr 1943 stellte General Henry Arnold, der führende General der Air Force, eine Gruppe prominenter Zivilisten zusammen, die die deutsche Wirtschaft analysieren und Angriffsziele empfehlen sollten. Das Advisory Committee on Bombardment, wie es hieß, empfahl unter anderem, die deutschen Kugellagerfabriken anzugreifen, da Kugellager entscheidend für den Bau von Flugzeugen seien. Das Zentrum der deutschen Kugellagerindustrie war Schweinfurt. Bei beiden Angriffen mussten die Alliierten gewaltige Verluste hinnehmen. Im August wurden 36 Bomber abgeschossen und im Oktober 62. Insgesamt wurden weitere 138 Flugzeuge stark beschädigt. Doch das Ergebnis schien die Verluste zu rechtfertigen. Als die Berichte von den Schäden eintrafen, jubelte Arnold: »Jetzt haben wir Schweinfurt!« Er täuschte sich.
Anders als bei der Jagd nach den Scud-Raketen war das Problem nicht, dass die Ziele nicht aufzufinden waren, oder dass die vermeintlichen Ziele in Wirklichkeit etwas anderes gewesen wären. Mithilfe von Nordens Mark XV richteten die B-17 schwere Schäden in den Kugellagerfabriken an.
Weitere Kostenlose Bücher