Was Die Liebe Naehrt
Selbstwertgefühl. Ich fühle
mich wertlos, unwürdig, – eben schuldig. Da ist die Erfahrung des inneren Ortes der Stille, an dem ich rein und klar bin, ohne Schuld, makellos,
unbefleckt – oder wie der Epheserbriefsagt: sancti et immaculati – heilig, heil und ganz, ohne Makel, tadellos (Eph
1,4). Die Erfahrung dieses schuldfreien inneren Kernes, meines wahren Selbst, das sich nicht schuldig fühlt, ist die Voraussetzung, meine Identität auch
in einer solchen Ehe durchzuhalten.
Missbrauch des Spirituellen
Spiritualität heißt also nicht, dass ich den Konflikten aus dem Weg gehe, indem ich in den inneren Raum der Stille flüchte. Dieser
Raum der Stille ist nur eine Hilfe, die Probleme zu relativieren und richtig zu sehen. Eine Frau erzählte mir von ihrem Mann: Immer wenn sie mit ihm einen
Konflikt hatte, reagierte er auf die gleiche Weise. Er ging in den Keller und meditierte dort. Das machte seine Frau nur noch wütender. Denn er
vermittelte ihr damit ja: » Du hast Probleme. Ich nicht. Ich bin ganz in meiner Mitte. Ich löse das Problem durch Meditieren.«
Der Mann merkte gar nicht, wie er sich dem Konflikt entzog und sich durch seine spirituelle Praxis über die Frau stellte. Die Frau hatte gar keine Chance,
ihm ihre Wut und Enttäuschung auch nur sagen zu können. Der Mann hielt das für unreif. Alles müsse man spirituell lösen. Doch hinter dieser Ideologie
stand die Weigerung, sich seiner eigenen Menschlichkeit zu stellen. Letztlich vermittelte er seiner Frau damit, dass sie an allem schuld sei, weil sie zu
wenig spirituell sei. Sich so zu verhalten, ist ein Missbrauch der Spiritualität in der ehelichen oder freundschaftlichen Beziehung. Gegen Schuldgefühle
können wiruns nur schwer wehren, weil keiner von uns völlig schuldlos ist.
Spiritualität will mich durchaus unabhängiger vom anderen machen. Sie bringt mich in Berührung mit mir selbst, mit dem inneren Raum der Stille. Aber in
der Spiritualität stelle ich mich nicht über den anderen. Ich stelle mich vielmehr, wenn auch mit einer gewissen Distanz, der
Auseinandersetzung. Ich befreie mich von dem Druck, alles ausdiskutieren zu müssen. Ich höre auf mein Gefühl, ob ich mich dem Vorwurf des Partners stellen
soll oder ob ich ihn lieber als Ausdruck seiner momentanen Unzufriedenheit einfach stehenlassen soll. Spiritualität gibt mir den nötigen Abstand, um über
die Verletzungen sachlich zu sprechen. Ich empfinde dann die Verletzung nicht als Ablehnung. Ich nehme meine Wunde wahr. Im Gespräch mit dem Partner oder
der Partnerin kann ich dann klären, was mich so verletzt hat. Ich nehme wahr, ob da alte Wunden in mir angerührt worden sind oder ob die Verletzung nur
Ausdruck der Ohnmacht oder ein Ausagieren der Kindheitswunden des Partners ist. Auf einer solchen Basis kann ich die Verletzungen klären, ohne mich
ständig angegriffen zu fühlen und ohne mich permanent rechtfertigen oder verteidigen zu müssen.
Tiefer in den Grund der Seele
Spiritualität in der Beziehung heißt nicht, dass ich mich immer vom anderen zurückziehe. Ich stelle mich meinen Gefühlen und meinen
Bedürfnissen. Ich gebe meine eigeneBedürftigkeit zu. Ich bin bedürftig nach Anerkennung und Achtung und Liebe. Das wäre – spirituell
ausgedrückt – Demut: der Mut, meine eigene Menschlichkeit und Bedürftigkeit anzuerkennen. Die spirituelle Aufgabe jedoch wäre, wie Richard Stiegler
einmal sagt, dass ich die Vorstellung aufgebe, »dass Bedürfnisse gestillt werden müssen, um Erfüllung zu erlangen«. Ich muss erst den eigenen Mangel
eingestehen, um dann tiefer in den Grund meiner Seele zu gelangen, in dem kein Mangel ist und der keine Unerfülltheit kennt. Doch der Weg führt immer
durch den Mangel und durch den Schmerz, über die unerfüllten Bedürfnisse hindurch in den Grund der Seele, in den Raum, in dem ich heil bin und ganz,
erfüllt und im Frieden mit mir selbst. Viele gehen lieber an ihren Bedürfnissen vorbei. Sie machen – wie die Amerikaner sagen – spiritual
bypassing , spirituelle Abkürzung. Sie möchten ihre Probleme und ihren Schmerz über ihren inneren Mangel gleichsam überspringen, um sofort in den
inneren Raum zu gelangen. Doch der Weg nach unten führt über die eigene Wirklichkeit.
Rituale der Versöhnung
Die spirituelle Dimension in der Beziehung drückt sich auch in Ritualen aus. Da sind einmal die täglichen Rituale, auf die sich ein
Ehepaar geeinigt hat. Ein Ehepaar betet zum Beispiel
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