Was Die Liebe Naehrt
mehr schützt sie sich durch Verweigerung und
Rückzug. Nur wenn die Sexualität aus ihrer Monopolstellung herausgeholt wird, kann sie so gelebt werden, dass sie Mann und Frau gut tut und immer wieder
zu beglückenden Erfahrungen führt. Wenn Sexualität gelingt, dann erleben sich Mann und Frau als eins miteinander. Dann spüren sie eine Dimension von
Einklang, von Sich-Vergessen und Hingabe, die ihre Sehnsucht nach der Fülle des Lebens und nach Glück für einen Augenblick stillt. Doch man kann die
Sehnsucht nicht ein für alle Mal stillen. Sie wird durch jede beglückende Erfahrung in der Sexualität wieder neu geweckt. Ich kann diese Sehnsucht nur
angemessen leben, wenn ich sie nicht nur auf die Sexualität richte, sondern darüber hinaus auf die Wirklichkeit richte, die allein für immer die Sehnsucht
nach Ekstase erfüllen kann. Das meint übrigens die spirituelleTradition, wenn sie von keuscher Liebe, von keuscher Sexualität
spricht.
Die Bewertung von Lust und Askese
Die griechische Philosophie verstand die Lust als Antriebskraft zum Handeln, aber sah auch die Gefahr, dass sie den Menschen
beherrscht. So wollte sie den Menschen zu geistigen und vernunftbestimmten Formen der Freude führen. In der frühen Kirche wertete man Lust eher
negativ. Vor allem Augustinus versteht Lust als Zeichen des gefallenen Menschen. Dem gegenüber stellt er die Freude des erlösten Christen. Gegenüber
dieser eher pessimistischen Sicht hat der nüchterne Theologe des Mittelalters, Thomas von Aquin, sehr positive theologische Aussagen über die Lust
gemacht. Für ihn ist die Lust etwas Gutes, von Gott geschaffen. Die Lust hat den Drang, sich zu verwirklichen. Für Thomas gibt es keine wahre Freude, die
nicht von einem Guten seinen Ursprung hätte. Thomas unterscheidet körperliche und geistige Lusterlebnisse, aber er trennt sie nicht. Beiden spricht er die
gleiche Würde zu: »Daher ist auch das den Sinnen gemäße Gut ein Gut des ganzen Menschen.« Auch die körperliche Lust ist bei ihm ein »höchstes Gut«. Der
Körper nimmt teil an dem Genuss, den die Seele von Gott haben kann. Weil Seele und Leib so eng zusammenhängen, »nimmt der Körper in gewissem Sinn teil an
der Seligkeit, und er kann mit selbstloser Liebe geliebt werden«. Für Thomas ist also auch die sexuelle Lust ein Teil der Freude an Gott. FürThomas hat auch Jesus Lust empfunden. Denn er hat die ganze menschliche Natur angenommen. Ja, Thomas meint, Jesus habe größere Lust
empfunden als wir, da »die Lust umso größer ist, je reiner die Natur und je sensibler der Körper ist«. Thomas glaubt, dass die Lust an Gott größer wird,
wenn sie auch im Leib erfahren wird. Die rein geistige Lust braucht die Lust des Körpers zu ihrer eigenen Vollendung.
In der Psychologie hat vor allem Sigmund Freud sich auf einer anthropologischen Ebene mit dem Thema beschäftigt. Das Streben nach Lust ist für ihn
zentral: Der Mensch strebt mit allen seinen Kräften nach Lust und möchte unter allen Umständen Unlust vermeiden. Allerdings kann der Mensch nicht immer
Lust erfahren. Er muss sich in seinem Streben mit der Realität aussöhnen. Und das geht nur über die Erfahrungen des Sich-Versagens. Der alte griechische
Begriff Askese wird hier von Sigmund Freud aufgegriffen. Freud meint, wer alle seine Bedürfnisse sofort befriedigen muss, wer jeder Lust sofort nachgibt,
der wird kein starkes Ich entwickeln. Zur Selbstwerdung und zum Genießen von Lust gehört daher auch die Askese, der Verzicht auf kurzfristige
Lust. Verzicht darf aber nicht zur Verteufelung von Lust führen, sondern möchte die Lust kultivieren und zu einer personalen Erfahrung machen.
In der Tradition christlicher Spiritualität gab es viele Tendenzen, die Lust eher negativ zu sehen. Nicht jede spirituelle Schule ist der
optimistischen Sicht des Thomas von Aquin gefolgt. So wäre es heute wichtig, das Thema Lust und Askese neu zu bedenken. Askese darf nicht zurAbtötung führen. Sonst macht sie den Menschen letztlich antriebslos. Es gibt auch eine Lust auf Askese. Wenn ich Lust habe, mein Leben
selbst in die Hand zu nehmen und es zu gestalten, dann fördert auch dies das Lustempfinden des Körpers.
Friedrich Nietzsche rebellierte gegen ein lustfeindliches Christentum. Das Christentum habe den Menschen die Freude an der Lust geraubt und überall nur
die Sünde gesehen. In seiner Rebellion gegen das Christentum, das er von seinem Vater, einem evangelischen
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