Was Die Liebe Naehrt
ist, in dem Gott in ihm wohnt, wo die
Sorgen und Probleme, die Konflikte und die Verletzungen keinen Zutritt haben. In diesem Raum der Stille kommt jeder mit dem ursprünglichen Bild in
Berührung, dass Gott sich von ihm gemacht hat. So erlebt er eine innere Freiheit. Er freut sich über die Beziehung. Aber er spürt, dass er nicht nur aus
der Beziehung lebt, sondern auch aus der eigenen Mitte heraus, dass er auch sein eigenes einmaliges Leben lebt.
Die Gebärde der überkreuzten Arme ist auch eine Gebärde der Selbstumarmung. Statt zu jammern, dass ich zu wenig Liebe vom Partner erfahren habe, umarme
ich mich selbst. Ich umarme das Gegensätzliche in mir: das Starkeund Schwache, das Gesunde und Kranke, das Geliebte und das Ungeliebte,
das Heile und das Verletzte, die Fülle und den Mangel. Dann komme ich in dieser Selbstumarmung zur Ruhe. Und ich fühle mich in Gott selbst liebevoll
umarmt.
Sexualität und Spiritualität
Gegenläufige Richtungen
In der Geschichte der Spiritualität spielt die Sexualität immer eine wichtige Rolle. Es gibt in allen Religionen zwei gegenläufige
Richtungen.
Die eine verteufelt Sexualität und sieht sie als Gegner der Spiritualität. Die Beschäftigung mit der Sexualität zieht nach dieser Auffassung unseren
Geist von Gott ab. Daher muss man sie entweder unterdrücken oder doch so in Zaum halten, dass sie einen nicht von der Beziehung zu Gott abhält.
Die andere Richtung – im Buddhismus ist es die tantrische Richtung, im Christentum die mystische – sieht Sexualität als Quelle der Spiritualität. Die
Sehnsucht der Sexualität geht auf die Ekstase. Und die eigentliche Ekstase, nach der sich der Mensch sehnt, ist die Ekstase in Gott hinein. Die Mystiker
und vor allem die Mystikerinnen haben ihre Erfahrungen mit Gott und ihr Einswerden mit ihm oft in einer erotischen Sprache beschrieben. Sie haben die
Sexualität in ihre Beziehung zu Gott integriert. Psychologisch betrachtet würde man sagen, sie haben die Sexualität sublimiert, auf eine höhere Ebene
gehoben.
Transzendenzpotenzial
Ich möchte vor allem diese zweite Richtung befragen, wie weit sie uns im konkreten Umgang mit der Sexualität helfen kann, die
Sexualität so zu leben, dass sie unsere Beziehung zu den Menschen und unsere Beziehung zu Gott intensiviert. Der Paartherapeut und Theologe Hans
Jellouschek sieht in der Sexualität ein Transzendenzpotenzial. Wenn Menschen miteinander schlafen, wird dieses Transzendenzpotenzial nicht
zufriedengestellt, sondern immer wieder neu geweckt. Die gelebte Sexualität weist über sich hinaus. Das ist keine Beeinträchtigung der Sexualität, sondern
vielmehr eine Förderung. Das Problem ist, dass viele Eheleute die Sexualität überfordern. Sie ist für sie der einzige Ort, an dem sie sich transzendieren
können. Aber diese Transzendenz geht nicht weiter auf Gott hin. Wer seine Sexualität so versteht, der ist darauf fixiert und erwartet von ihr, dass sie
ihn über sich hinaus führt. Wilber meint in seinem Buch über Eros und Kosmos, im 19. Jahrhundert habe man die Sexualität in den Mittelpunkt des
menschlichen Interesses gesetzt, weil man den Sinn für Transzendenz verloren habe. Da man das Gespür für das Geheimnis Gottes verloren hatte, wurde die
Sexualität zum einzigen Geheimnis des Menschen. Man kreiste nur noch um sie. Wilber schreibt in seinem Buch »Eros, Kosmos, Logos«: »Die Sexualität bekam
eine geradezu mystische Aura, ihr wurden ein Stellenwert, eine Macht und eine Autorität zugeschrieben, die weit über das hinausgehen, was man der Libido
als solcher abgewinnen kann.« Wenn Sexualität zum Religionsersatzgemacht wird, ist sie überfordert. Man hat sich von den Fesseln einer
rigiden Moralität befreit. Aber nun ist man in die Fesseln der Sexualität geraten, von der man sein Glück erwartet und es doch nicht so findet, wie man es
sich erträumt hat.
Wenn wir um die Offenheit der Sexualität für die Transzendenz wissen, dann können wir sie so leben, dass sie uns selbst und den Partner nicht
überfordert. Ich erlebe viele Ehepaare, die sich das Leben schwer machen, weil sie ständig um die Bedürfnisse der Sexualität kreisen. Die können aber bei
Mann und Frau sehr verschieden sein. So mag ein Mann seiner Frau ständig den Vorwurf machen, sie verweigere sich sexuell, sie habe kein Gespür für seine
Bedürfnisse. Die Frau fühlt sich hingegen oft bedrängt. Und je stärker sie sich bedrängt fühlt, desto
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