Was Die Liebe Naehrt
das größer ist als das, was wir von ihm kennen. In jedem von uns ist ein Geheimnis, das uns übersteigt. In jedem von uns ist ein guter Kern, ein
göttlicher Kern. Zumindest kennen wir alle in uns die Sehnsucht, gutzu sein. Es braucht – so meint Benedikt – Augen des Glaubens, um
Christus im anderen zu entdecken. Das ist eine große Hilfe für die täglichen Reibereien. Im Streit sehen wir den anderen nur als den, der mich verletzt
hat, der wieder einmal unachtsam war oder nicht verstanden hat, worum es geht. Wir legen ihn fest auf ein ganz bestimmtes und enges Bild. Der Glaube
sprengt dieses Bild. Er übersieht das, was der andere an Unachtsamkeit oder Aggression gezeigt hat, nicht. Aber er sieht durch das Verhalten hindurch auf
den inneren Kern. So beiße ich mich nicht fest am Konflikt, sondern eröffne auch dem anderen die Möglichkeit, an den eigenen guten Kern zu glauben.
Verletzungen loslassen
Viele Verletzungen in der Partnerschaft entspringen dem mangelnden Glauben an den anderen. Wir legen den anderen fest auf unsere
Vorstellungen. Wir sind nicht bereit, unsere Vorstellungen loszulassen und den anderen mit den Augen des Glaubens zu betrachten. Die stoische Philosophie
hat einen Grundsatz aufgestellt, den die christliche Spiritualität der ersten Jahrhunderte dankbar aufgegriffen hat. Sie sagt: »Keiner kann dich verletzen
außer du selbst. Nicht die Menschen verletzen dich, sondern die Vorstellungen ( dogmata ), die du dir vom Menschen machst.« Oft ist es nicht
der Mann, der die Frau verletzt, sondern eine nicht erfüllte Vorstellung. Die Frau meint: Der Mann müsste doch merken, dass ich mich den ganzen Tag um die
Kinder gekümmert habe und jetzt einfach einmalZeit für mich brauche. Der Mann meint: Die Frau müsste doch eigentlich spüren, dass ich
von der Arbeit überfordert bin, dass ich müde bin und Erholung brauche. Mann und Frau haben also unausgesprochene Vorstellungen vom jeweils anderen. Doch
der andere erfüllt die Vorstellungen nicht. Und schon fühlt man sich verletzt. Doch es war nicht die Frau, die den Mann verletzt hat und nicht der Mann,
der die Frau verletzt hat, sondern die nicht erfüllte Vorstellung, die wir von ihm oder von ihr hatten. An den guten Kern im anderen glauben heißt, dass
ich meine Vorstellungen loslasse und mich immer wieder mit Augen des Glaubens dem anderen zuwende, in ihn hineinschaue, mich mit ihm beschäftige. Ich lege
ihn nicht auf meine Vorstellungen fest, sondern erlaube ihm, dass er er selbst sein darf. Und wenn ich Erwartungen und Wünsche an ihn habe,
sage ich sie ihm, anstatt von ihm etwas zu erwarten, von dem er gar nicht weiß, dass es von ihm erwartet wird.
Rituale – Ordnungen der Liebe
Spiritualität zeigt sich immer auch in einem konkreten Leben, in einer konkreten Ordnung. Bert Hellinger spricht von »Ordnungen der
Liebe«. Auch die Liebe zwischen Mann und Frau braucht bestimmte Ordnungen, damit sie gelingen kann. Das scheint zunächst ein Gegensatz zu sein. Denn Liebe
ist ja auch das spontane Gefühl, das mich überfällt, das Vitale und Ungeordnete. Die Liebe lebt von der Spontaneität und Kreativität. Und doch braucht sieauch konkrete Formen, damit sie nicht verblasst. Gefühle kommen und gehen. Es braucht Anhaltspunkte, an denen ich mit dem Gefühl der
Liebe in Berührung komme. Solche Anhaltspunkte und Erinnerungspunkte sind die Rituale. Sie halten meine Liebe lebendig.
Die Rituale haben vor allem zwei Bedeutungen. Sie öffnen unser Leben auf Gott hin. Sie stellen es unter den Segen Gottes. Mitten im Alltag zeigen uns
Rituale, dass wir unser gemeinsames Leben vor Gott führen, dass er das eigentliche Ziel ist, auf das hin wir unterwegs sind und dass er der
Grund ist, auf dem wir unser gemeinsames Lebenshaus gebaut haben. Aber Rituale haben darüber hinaus noch eine andere Bedeutung. Sie sind der Ort, an dem
Gefühle ausgedrückt werden, die sonst nie ausgedrückt werden. Sie vertiefen die Beziehungen zwischen den Menschen und schaffen eine gemeinsame
Identität. Sie verbinden uns auf einer tieferen Ebene als der des Verstandes und des Willens, tiefer auch als das Gefühl. Das gilt vor allem für die
Rituale der Zweisamkeit. Manche Paare haben das Ritual, sich am Morgen mit einem Kuss zu begrüßen und sich abends mit einem Kuss in die Nacht zu
verabschieden. Das mag flüchtig erscheinen. Aber wenn das Ritual täglich geübt wird, gibt es doch jeden Tag zumindest eine zärtliche
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