Was Die Liebe Naehrt
zu zimmern, seine eigenen
Vorstellungen in den anderen Menschen hineinzuprojizieren, ist der Tod einer Beziehung. In der Spiritualität geht es gerade um das Aufbrechen von solchen
ichbezogenen Fixierungen. Es geht dabei letztlich darum, sich für das zu öffnen, was unseren Alltag übersteigt, was über unser menschliches Leben
hinausweist, und darum, Gott zu suchen. Gott ist immer der Unbegreifliche. Wir Menschen brauchen Bilder, um überhaupt von ihm sprechen und eine Beziehung
zu ihm aufbauen zu können. Aber zugleich wissen wir, dass er jenseits aller Bilder liegt. Das Alte Testament kennt das Verbot, sich von Gott ein Bild zu
machen. Es ist für mich ein spirituelles Element in der Beziehung, dass wir uns auch vom Partner kein Bild machen. Natürlich haben wir ein Bild, eine
Vorstellung vom anderen in uns. Und wir machen uns täglich neue Bilder von ihm. Spiritualität meint jedoch, dass wir den anderen nie auf ein Bild
festlegen, dass wir immer darum wissen, dass der andere mehr ist als die Bilder, die wir von ihm in uns tragen. Im anderen ist etwas, was unserem Zugriff
entzogen ist. Die Beziehung zum Partner oder zur Partnerinbleibt nur lebendig, wenn wir unsere eigenen Bilder überspringen und offen
sind für das bildlose Geheimnis des anderen. Wenn ich den anderen auf ein Bild festlege, wird es bald langweilig mit ihm. Ich kenne alle seine
Verhaltensweisen, habe für jedes Wort und jedes Verhalten des anderen eine Erklärung.
Die Bildlosigkeit in der Beziehung ist die Voraussetzung, dass ich neugierig bleibe auf den anderen, offen für sein Geheimnis. Max Frisch hat das als
das Geheimnis wahrer Liebe entdeckt. »Die Liebe befreit aus jeglichem Bildnis«, schreibt er in seinem ersten Tagebuch. Und seine Tochter Ursula Priess,
die diesen Satz zitiert, fügt im Buch über ihren Vater – das auch ein Buch ist über die Schwierigkeit ihrer Beziehung zu ihm – hinzu: »Einzig in der
Liebe ist es möglich, sich kein Bild zu machen.«
Das Johannesevangelium drückt diesen Aspekt der Liebe in der Auferstehungsgeschichte aus. Als Maria von Magdala den Auferstandenen erkennt und ihn
umarmt, sagt Jesus zu ihr: »Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen« (Joh 20,17). Im Bild halten wir den anderen
fest. Aber in jedem ist etwas, das unserem Zugriff entzogen ist. Biblisch gesprochen: Es ist das, was zum Vater aufsteigt, das, was den anderen auf Gott
hin öffnet. Es ist die spirituelle Dimension in jedem von uns. Es gibt etwas in uns, das der andere nicht festhalten kann. Es entzieht sich jedem
Zugriff. Es ist etwas Göttliches, das bei Gott daheim ist. Nur wenn wir um diese Dimension wissen, bleibt eine Beziehung auf Dauer lebendig.
Gottesbild und das Bild vom Partner
Im ersten Teil haben wir die Beziehung zwischen dem Gottesbild und dem Selbstbild beschrieben. Mein Gottesbild korrespondiert aber
nicht nur mit meinem Selbstbild, sondern auch mit dem Bild, das ich mir vom Partner oder der Partnerin mache. Wenn ich ein strafendes Gottesbild habe,
wird sich das auf meine Beziehung zur Partnerin auswirken. Ich bin dann in Gefahr, ständig zu moralisieren, ihr vorzuhalten, dass eine Ehefrau sich als
Christin so und so verhalten müsse. Oder ich vermittle ihm Schuldgefühle, wenn er mich verletzt oder meine Bedürfnisse nicht erfüllt. Wenn ich das Bild
eines Buchhaltergottes habe, wird sich das auch auf das Bild der Partnerin legen. Ich beurteile sie dann nach dem, was sie einbringt in die Ehe, nach
ihrer Arbeit im Haushalt und für die Kinder. Aber ich übersehe sie selbst in ihrer einmaligen Person und mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen. Das Bild des
Willkürgottes wird in mir auch ein Misstrauen gegenüber der Partnerin hervorrufen. Ich habe das Gefühl, dass ich mich nicht auf sie verlassen kann, dass
sie anders redet und anders handelt, dass sie ständig von irgendwelchen Launen heimgesucht wird und dass ich nie weiß, woran ich bei ihr bin.
So sind gesunde Bilder von Gott auch die Bedingung dafür, den Partner richtig zu sehen. Das Bild des barmherzigen und liebenden Gottes wird mir auch
die Augen öffnen für die Liebe, die mir der Partner oder die Partnerin entgegenbringt. Aber auch die positiven Bilder von Gott müssen immer wieder
überstiegen werden. Und so muss ich auch die guten Bilder, die ich vom Partner habe, immerwieder loslassen, um mich dem Geheimnis des
anderen zu öffnen und diesen einmaligen Menschen zu lieben
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