Was die Nacht verheißt
eine Schande, dass er zu geblendet ist von der Vergangenheit und seinem Drang nach Rache, um das zu verstehen.«
Brandy antwortete nicht, aber ein leiser Schmerz pochte unter ihrem Brustbein. Geblendet von der Vergangenheit und seinem Drang nach Rache. Und von einer Liebe für die See, die größer war als jede Liebe, die er je für eine Frau empfinden konnte. Sie wusste das, akzeptierte das. Aber der Schmerz wurde dadurch nicht geringer.
Dunkle Wolken rollten übers Meer herüber, dichte, brodelnde Schichten, die tief am Abendhimmel hingen. Ein rauer Wind blies über die Wellen und klatschte regennasse Äste gegen die Steinwände des Hauses, drückte sie an die Butzenscheiben.
Brandy hatte bis spät mit Professor Felton gearbeitet und war dann - Rex und sogar Marcus bestanden darauf - zum Abendessen geblieben. Der Professor war auch eingeladen und erwies sich als ein überraschend angenehmer Gesellschafter.
Inzwischen wurde der Sturm draußen immer heftiger.
»Es wird langsam spät«, sagte Marcus, als sie ihren Kaffee getrunken und die versprochenen Lebkuchen und Stachelbeertörtchen gegessen hatten. Wie jedes Mal, wenn sie zusammen gegessen hatten, lehnten die Herren höflich den traditionell folgenden Gang von Cognac und Zigarren ab, sodass sie im Esszimmer bleiben konnte, da sie die einzige anwesende Frau war. »Ich hatte gehofft, der Sturm würde nachlassen, aber es scheint anders gekommen zu sein. Die Straße ist schlammig, und Miss Winters kann bei diesem Wetter unmöglich nach Hause gehen. Ich lasse Mrs. Finlay eines der Gästezimmer herrichten.«
Brandy setzte klirrend ihre Kaffeetasse ab. »Aber ich kann unmöglich hier bleiben. Ich -«
»Unsinn.« Marcus schob seinen Stuhl zurück und stand auf, wobei er sich schwer auf seinen Stock stützte, der ein Geschenk seines Bruders war, mit einem silbernen Griff in der Form eines Habichts. »Du bist fast den ganzen Tag bei der Arbeit hier, da machen ein paar Stunden mehr wohl kaum etwas aus. Morgen früh lasse ich dann anspannen, damit dich die Kutsche nach Hause bringen kann.«
Rex und der Professor standen ebenfalls auf, Rex lächelte angesichts der beschützenden Haltung seines Bruders. »Marcus hat Recht. Du musst heute Nacht bleiben. Ich lasse einen Lakaien eine Nachricht zu deinem Haus bringen, damit deine Zofe sich keine Sorgen macht.«
Brandy nickte. »Vielen Dank.« Ein Blick auf Marcus und sie wusste, dass sie das Herrenhaus heute Nacht nicht verlassen würde, dass er sie notfalls persönlich nach oben tragen und an ihr Bett binden würde. Bei dem Gedanken wurde die Vorstel-lung plötzlich so erotisch, dass ihre Wangen sich röteten und sie den Blick abwenden musste.
»Bevor du dich zurückziehst«, sagte er, »würde ich mich gern noch kurz unter vier Augen mit dir unterhalten, wenn du nichts dagegen hast.«
Sie betrachtete ihn einen Augenblick unter halb gesenkten Wimpern hervor und fragte sich, worüber er wohl mit ihr reden wollte. »Natürlich.«
Professor Felton machte eine extravagante Verbeugung, wobei seine hagere, hohe Gestalt beinah komisch wirkte. »Vielen Dank für den angenehmen Abend. Miss Winters, wir sehen uns dann morgen. Vielleicht könnten wir ein paar neue Techniken für Eure Malkunst mit Wasserfarben besprechen. Und am Nachmittag werden wir dann an der Verbesserung Eures Französisch arbeiten.«
Marcus hob eine Augenbraue. »Du lernst Französisch?«
Brandy warf ihm ein freches Lächeln zu. »Oui, m’sieur le comte. Je parier Francais un petit. Y vous?«
»Herr im Himmel!« Marcus sah den Professor mit offensichtlicher Abscheu an. »Wenn ich geahnt hätte, dass Ihr sie verwandeln würdet in eine von jenen künstlichen, oberflächlichen -«
»Das bin ich ja wohl kaum, Mylord«, schnappte Brandy, das Kinn hoch in der Luft. »Und die Tatsache, dass ich eine Fremdsprache lerne, hat nichts damit zu tun, dass ich künstlich werde. Ich erweitere lediglich meinen Horizont - auf Eure Kosten, möchte ich hinzufügen. Und ich schäme mich nicht im Geringsten, Euer Angebot auch anzunehmen.«
Marcus lachte. Und es tat gut, das tiefe, entspannte Grollen in seiner Brust zu hören. »Verzeih. Es ist offensichtlich, dass aus dir wohl niemals eine solche Frau werden wird. Ich war nur für einen Augenblick irritiert.«
Brandy sagte nichts dazu, aber ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Rex verabschiedete sich, und der Professor zog sich in seine Zimmer in einem anderen Teil des Hauses zurück. Brandy folgte Marcus’ zögernden
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