Was die Nacht verheißt
zu ihr zurückkehre.«
Sie hob den Kopf, um seinen Abschiedskuss entgegenzunehmen, aber sie hätte nie erwartet, dass er von einem so schrecklichen Schmerz begleitet sein würde. Sie hatte nicht geahnt, dass es ihr so wehtun würde, dass sie nicht mehr sicher war, ob sie auf den Beinen bleiben konnte.
Er drückte einen letzten weichen Kuss auf ihre Stirn. »Pass gut auf dich auf, mein Liebes.«
»Du auch«, flüsterte sie und lehnte sich an den Türrahmen, um nicht umzufallen. Sein Gesicht wirkte hart, als er sich abwandte und auf seinen Stock gestützt zurück zur Kutsche ging. Ihre Hand zitterte, als sie sie zu dem kleinen silbernen Anhänger hob, den sie um den Hals trug, das Geschenk, das er ihr bei seinem letzten Abschied gegeben hatte. Ihre Finger schlossen sich darum, die Kanten drückten sich in ihre Haut.
Marcus stieg in die Kutsche und schloss die Tür, gab dem Kutscher ein Zeichen, und die Pferde trabten los. Während der ganzen Zeit sah er sie an, seinen Blick auf ihr Gesicht gerichtet, seine Züge starr wie eine Maske. Sie sah zu, bis das Fahrzeug außer Sicht war, und länger, bis das Getrappel der Pferde verklang, und noch lange danach stand sie da und schaute in dieselbe Richtung, in die er verschwunden war.
Sie fühlte sich wie eine zerbrochene Puppe, zerschlagen und fortgeworfen. Schmerz und ein Gefühl von Verlust drohten sie zu verschlingen, sickerten durch ihre Haut, nagten an ihr, bis nichts mehr übrig war außer einem endlosen Strom von Schmerz.
Sie stolperte ins Haus und schloss die Tür, dankbar, dass niemand anderes da war, der sie hätte sehen können. Sie sank aufs
Sofa und gab dem heftigen Schluchzen nach, das sie erfüllte, weinte, bis ihre Augen geschwollen und ihre Nase rot waren, bis sie glaubte, einfach keine Tränen mehr zu haben.
In der Nacht weinte sie wieder, und in der folgenden Woche jeden Tag und jede Nacht. Rex kam sie besuchen, aber sie gab vor, Kopfschmerzen zu haben, und entschuldigte sich schon nach wenigen Minuten. Bereits sein Anblick und die Ähnlichkeit mit seinem Bruder machten den Schmerz unerträglich. Richard Lockhart kam sie in der folgenden Woche besuchen, und sie unterhielt sich eine Weile mit ihm. Er kam am Tag darauf wieder, und am nächsten noch einmal, und der Schmerz begann ein wenig nachzulassen.
Marcus war fort. Sie liebte ihn über jede Vernunft. Sie würde nie wieder jemanden so lieben. Aber sie würde überleben, das lag einfach in ihrer Natur.
Oberflächlich betrachtet machte sie mit ihrem Leben einfach weiter, erfüllte ihre Tage mit den einfachsten Beschäftigungen, ging einkaufen, nähte, las, gärtnerte, wenn es das Wetter erlaubte, aber innerlich fühlte sie sich, als wäre ein Teil von ihr an jenem Tag gestorben, als Marcus sie verließ. Der Funke des Lebens, die Flamme, die in ihrem Inneren gebrannt hatte, war einfach an jenem Tag erloschen, als er fortging.
Rex saß Richard Lockhart in seiner glänzenden schwarzen Kutsche gegenüber. Sein Freund war letzte Woche zurückgekommen, nachdem er den Winter mit seiner Familie in der Stadt verbracht hatte. Als Erstes nach seiner Ankunft hatte er Brianne besucht, und direkt danach war er nach Hawksmoor House gekommen. Richard machte sich Sorgen um sie. Und Rex auch.
»Es sind Monate vergangen, seit Marcus fort ist«, sagte Richard. »Und sie trauert ihm noch immer nach.«
Rex nickte und lehnte sich an den gepolsterten roten Ledersitz. »Sie ist nicht mehr sie selbst. Sie lächelt und nickt und antwortet immer richtig, aber eigentlich wirkt sie mehr wie eine
Puppe als wie die Frau, die sie früher war, so als würde sie sich bewegen, aber jemand anderes würde an den Fäden ziehen.«
»Dein Bruder war ein Narr, dass er sie verlassen hat«, sagte Richard düster.
»Sein Leben ist die See. Das war immer so.«
»Er hätte sie ja mitnehmen können.«
Rex schüttelte den Kopf. »Nein, das passt einfach nicht zu ihm. Brianne wusste das. Und hat es von Anfang an akzeptiert.«
»Sie leidet, Rex. Ich glaube, sie sollte fortgehen von hier.« Richard sah aus dem Fenster zu der kahlen Winterlandschaft hinaus, die an der Kutsche vorüberzog. »Ich habe mit meiner Mutter gesprochen. Sie hat Brianne zu einem Besuch eingeladen.«
Rex hob eine Augenbraue. »Nach Seacliff?«
»Nein, in unser Haus nach London.«
Halliday Hall, ein palastähnliches Gebäude am Rand der Stadt. Selbst Rex war beeindruckt gewesen von der Prächtigkeit des Wohnsitzes der Marquise. »Und was hast du Lady Halliday
Weitere Kostenlose Bücher