Was die Nacht verheißt
beunruhigende Weise an, die ihr in letzter Zeit öfter aufgefallen war. Er war ein freundlicher, großzügiger Mann und ein wunderbarer Freund. Sie würde ihm immer dankbar sein dafür, dass er ihr dabei geholfen hatte, den Schmerz über den Verlust von Marcus zu überwinden.
Unerwünschterweise stand ihr plötzlich Marcus’ Bild vor Augen, wie er breitbeinig auf dem schwankenden Deck seines Schiffes stand, das attraktive Gesicht von der Sonne gebräunt, das lockige Haar vom Wind zerwühlt und schwarz wie Tinte gegen das Weiß seines Kragens. Sie richtete ihren Blick auf Richard und verdrängte das Bild, vergrub es wieder in den Tiefen ihres Herzens.
»Das smaragdgrüne Seidene ist ebenfalls sehr hübsch«, sagte Richard. »Wirklich reines Grün mit einer Spur von Gold. Für den Ball der Herzogin am Ende der Woche ist es genau das Richtige.«
»Ja, wirklich, eine sehr gute Wahl«, sagte Lady Halliday Sie wandte sich an Madame Rousseau. »Wir werden noch ein paar andere Dinge brauchen. Habt Ihr irgendetwas in Silbergrau oder Zimtfarben? Zu Miss Winters’ Teint und Haar würde das auch sehr gut passen.«
»Oui, Mylady.« Die kleine französische Ladenbesitzerin räumte die restlichen Stoffballen weg, die nicht gebraucht wurden. »Wir ’aben eine ganze Reihe solcher Stoffe. Isch werde sie ’erbei’olen, tout de suite.«
Richard und Brianne sahen einander an und stöhnten gleichzeitig. Dann brachen sie beide in Gelächter aus. Es fühlte sich gut an, wieder zu lachen, die Leichtigkeit eines Lachens in der Kehle aufsteigen zu fühlen. Wenn Richard und seine Familie nicht gewesen wäre, hätte sie vielleicht nie wieder gelacht, wenigstens nicht von Herzen.
Sie sah ihn unter den Wimpern hervor an. Mit seinen feinen Zügen, dem sandfarbenen Haar und der schlanken Gestalt war er wirklich sehr attraktiv. Und sein Verstand war ebenfalls anziehend, seine Klugheit, sein ständiges Verlangen, Neues zu lernen. Sie hatte dasselbe Verlangen in sich entdeckt und angenehme Stunden mit der Lektüre der Bücher verbracht, die er für sie aussuchte, und danach auch bei den Gesprächen über das, was sie dabei erfahren hatte.
Er hatte ihrem Leben eine neue Richtung gegeben, sie aus der Dunkelheit geholt. Sie war ihm viel schuldig. Mein Gott, wirklich sehr viel. Und sie hatte ihn gern, wirklich sehr gern.
Bis Lady Halliday schließlich ihren Einkaufsausflug abgeschlossen hatte, war Brandy erschöpft. Aber es war eine angenehme Erschöpfung, und sie freute sich auf den kommenden Abend. Richard ging mit ihr in die Oper. Sie war bisher noch nie in der Oper gewesen. Und der Gedanke daran machte sie wieder munter.
Und Rex würde auch mit ihnen kommen. Es schmerzte sie inzwischen nur noch ein wenig, wenn sie ihn anschaute und in seinem Gesicht Marcus entdeckte.
Marcus stand hinter dem großen Teakholzsteuer der Seehabicht, die glatten, polierten Griffe fühlten sich unter seinen Fingern feucht an. Ein Sturm war von Westen aufgekommen, der das Schiff ein wenig vom Kurs abgebracht hatte, und der kalte Wind wehte die Feuchtigkeit durch die offene Tür des Steuerhauses herein. Das Schiff kippte nach vorn, und er stützte sich am Steuer ab, als es in ein Wellental sank.
Marcus lächelte vor sich hin bei dem vertrauten Ächzen der schweren Hölzer unter seinen Füßen. Sein Rücken war geheilt, seine Beine beinah so stark wie vor dem Unfall. Obwohl er einen Stock benutzte und das wohl auch in Zukunft immer tun würde, sah man seinem Gang nur ein leichtes Hinken an. Er konnte seine Beine wieder gebrauchen und sein geliebtes Schiff wieder kommandieren. Den Schuldigen, der hinter den Angriffen auf die Hawksmoor Schifffahrtsgesellschaft steckte, hatte er allerdings noch nicht gefunden, aber es waren keine neuen Probleme mehr aufgetaucht, wenigstens nicht, so weit er es bisher beurteilen konnte.
Alles in allem war sein Leben wieder im Normalzustand. Bis auf die Transportverträge, die er verloren hatte, war alles wieder so wie vorher. Wie bei Hiob, dachte er. Der Schmerz, den er erlitten hatte, war vorüber, und alles, was ihm lieb war, hatte er zurückgewonnen. Sein Leben, seine Zukunft standen wieder unter seinem Kommando -
Warum also fühlte er sich so leer?
»n’Abend, Käpt’n.«
Marcus schob seine unangenehmen Gedanken beiseite und lächelte. »Guten Abend, Hamish.« Der Ältere trat durch die Tür ins Steuerhaus, Wasser troff vom Rand des Südwesters, den er sich über die Ohren heruntergezogen hatte. Strähnen von langem grauem
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