Was die Nacht verheißt
es sein Bruder war, der Brianne Winters gegenüberstehen würde.
Und Marcus hatte Recht - er würde jede Hilfe brauchen, die er nur bekommen konnte.
Brandy wanderte über den Pfad auf dem Kamm der vom Wind gepeitschten Klippen Cornwalls entlang. Die Luft war warm und feucht, sodass ihr die Kleider am Körper klebten. Unter ihr glitt das Meer auf den Sand. In der Ferne konnte sie das Schieferdach des Häuschens sehen und am Ende des Pfades die Spitzen und Türme von Hawksmoor House.
Sie betrachtete die majestätische Schönheit, die in den dunstigen Schatten des Nachmittags ätherisch wirkte. Sie kannte jede der klaren Konturen, konnte die Augen schließen und sich genau vorstellen, wo jedes der Butzenscheibenfenster war, kannte die verschiedenen Grautöne auf dem Dach. Es war ein
Ort voller Erinnerungen, doch Stück für Stück akzeptierte sie diese Erinnerungen als ein Stück der Vergangenheit und schob sie fort.
Jeden Tag seit ihrer Ankunft war sie über diese Klippen gewandert, hatte ihre Gedanken und ihr Herz erforscht, entschlossen, dort einen Platz für Richard zu finden und eine Zukunft für sich selbst. Sie war zu ihrem Häuschen gekommen, um Frieden zu finden, um sich von der Liebe zu verabschieden, die sie für Marcus fühlte, und den Schmerz zu lindern, der wieder in ihr Herz gekrochen war, seit er in London aufgetaucht war. Jeden Tag wanderte sie über die Klippen, und jeden Tag wurde der Aufruhr in ihrem Herzen weniger.
Und jetzt war er gekommen.
Zu ihrem Ärger und Kummer war Marcus an diesem Morgen in Cornwall angekommen, und obwohl sie ihn noch nicht gesehen hatte, hatte sie eine Nachricht bekommen, die sie zum Abendessen bei ihm einlud. Die Nachricht war kurz und förmlich, verriet nichts von seinen Gedanken - bis auf die letzte Zeile, die schlicht lautete: Bitte, Brianne, kannst du kommen?
Sie konnte einer solchen Bitte nicht widerstehen, und sie war ihm ja auch wirklich schon solange wie irgend möglich aus dem Weg gegangen. Es war an der Zeit, dass sie die Verhältnisse zwischen sich regelten. In den Tagen, seit sie London verlassen hatte, war sie zu denselben Schlüssen gekommen wie schon vorher.
Richard Lockhart war ein netter und anständiger Mann, der sie heiraten und glücklich machen wollte. Sie hatte ihn sehr gern, vielleicht liebte sie ihn sogar in manchen Beziehungen, und sie bewunderte seine Familie. Richard hatte ihr einen Platz auf der Welt angeboten, wo sie geliebt und akzeptiert werden würde. Er bot ihr Kinder und ein Heim mit einer Familie an.
Selbst Marcus’ Gegenwart konnte sie davon nicht abbringen, nicht jetzt, wo sie wusste, wie schmerzlich es war, ihn zu lieben und welches Leben sie in der Zukunft erwartete, nicht, wo sie wusste, dass sein Heim die See war und immer sein würde, egal, was er sagte.
Ein Seufzer entrang sich ihren Lippen und wurde vom Wind davongetragen. Ein frühsommerliches Gewitter braute sich am Horizont zusammen, graue Wolken ballten sich und brachten die Luft in Unruhe, während sie sich dem Land näherten. Brandy hoffte, dass es Regen geben würde. Der Frühling war trockener gewesen als sonst, und das Land brauchte Wasser. Sie zog die Bänder an ihrer Haube auf und löste sie, ließ die warme Sonne in ihr Gesicht scheinen und wanderte zu ihrem Haus zurück.
Es blieben ihr noch ein paar Stunden, bis Marcus’ Kutsche kommen würde, um sie abzuholen und die kurze Strecke zum Hawksmoor House zu bringen. Inzwischen wollte sie einen Brief an Flo schreiben, wie sie es manchmal tat. Sie hatte in letzter Zeit öfter an ihre Freundin gedacht und gehofft, dass es ihr gut ging. Sie würde ihr von Richard und ihren Heiratsplänen erzählen. Sie fragte sich, ob Flo glücklich war, und hoffte, dass sie durch den Besitz des Wirtshauses wenigstens ein wenig Sicherheit bekommen hatte, denn es sah ja ganz so aus, als würde sie ihr Leben ohne die Hilfe eines Mannes verbringen.
In ihrem Haus angekommen, setzte sie sich in den Salon und schrieb den Brief. Dann stieg sie mit ihrer Zofe Sally die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinauf, um ein Kleid auszusuchen, das sie anziehen würde.
Sie betrachteten ein Kleid nach dem anderen, doch keines schien so recht zu passen.
»Nicht das blassblaue - in dem sehe ich zu schüchtern aus.«
Sally hielt ein anderes hoch. »Wie ist es mit diesem hübschen goldenen Satin?«
Brandy schüttelte den Kopf. »Zu verführerisch. Es ist so tief ausgeschnitten, dass es eine regelrechte Einladung bedeutet.« Noch eine halbe Stunde
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