Was die Nacht verheißt
verging ohne Entscheidung, und plötzlich kam Brianne die Idee, dass sie sich viel zu viele Gedanken machte, was Marcus denken könnte oder nicht, und sie wurde ein wenig ärgerlich.
»Was, zum Teufel, tue ich hier eigentlich? Zur Hölle mit Marcus Delaine. Gib mir das smaragdgrüne Seidene.«
»Ich dachte, Ihr wolltet keines, das tief ausgeschnitten ist.«
»So tief ist es gar nicht ausgeschnitten, und ich werde nicht einen einzigen Augenblick länger hier stehen und mir Sorgen darüber machen, was Marcus denken könnte oder nicht, wenn er mich darin sieht. Es ist mir inzwischen völlig egal, was er denkt.«
Aber Sally lächelte nur. Brandy hatte das seltsame Gefühl, dass das schlanke Mädchen sich vorstellte, wie der Graf von Hawksmoor vom Deck seines Schiffes herunterstürmte wie ein schwarzhaariger, hinreißender Pirat, um sie zu entführen.
Das war es wohl kaum, was Marcus tun würde, und außerdem war es Brandy sowieso egal. Sie hatte Marcus Delaine jahrelang geliebt und nichts als Kummer gehabt. Sie war nicht mehr so dumm, seinen mitternachtsblauen Augen und brennenden Blicken zu erliegen. Sie war nicht an dem interessiert, was er ihr zu sagen hatte.
Trotzdem, bis sie schließlich gebadet und sich umgezogen hatte, schien ihr Magen einen Knoten zu bilden, und ihre Hände zitterten. War er wirklich ihretwegen nach London zurückgekommen? Was konnte er wollen? Warum war er ihr nach Cornwall gefolgt?
Mein Gott, sie wünschte, sie wüsste es.
Marcus wartete an der Tür, als sie das Herrenhaus erreichte.
»Guten Abend, Brianne. Ich freue mich wirklich, dass du kommen konntest.« Obwohl seine Worte von förmlicher Höflichkeit waren, brachten seine Augen zum Ausdruck, dass er nicht vorgehabt hatte, ihr die Wahl zu lassen. Er trug nichts als Schwarz außer der silbernen Brokatweste unter dem Rock mit dem Samtkragen. Mit seinem schwarzen Haar und den dunkelblauen Augen sah er unerträglich attraktiv aus. Ihr flatterte jedes Mal der Magen, wenn er in ihre Richtung schaute, und ihre Kehle war trocken.
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Guten Abend, Mylord. Ich hoffe, du hattest eine angenehme Reise.« Das beiläufige Thema war allerdings kaum das, worüber sie reden wollte. Sie wollte nichts lieber, als zu erfahren, warum er nach Cornwall gekommen war.
»Genau genommen war die Fahrt lang und lästig, denn ich wollte möglichst bald hierher kommen.«
Natürlich wollte er das, sagte sie sich. Er hatte sein Heim vor Monaten verlassen. Da war es ganz natürlich, dass er möglichst bald zurück sein wollte. Das hatte nichts damit zu tun, dass sie hier war.
Doch der Ausdruck in seinem heißen, dunklen Blick machte klar, dass es allerdings mit ihr zu tun hatte.
»Ich glaube, die Köchin hat das Essen bald fertig. Ich hoffe, du hast Hunger.« Lange, elegante Finger legten sich um ihren Ellenbogen, als er sie durch den marmorgepflasterten Flur führte, der Ärmel seines Rockes streifte ihre Brust, und ein Kribbeln lief über ihre Wirbelsäule.
»Ich bin sogar sehr hungrig«, sagte sie betont lässig. »Ich kann mich daran erinnern, wie gut deine Köchin ist. Seit deine Nachricht kam, habe ich mich auf das Abendessen gefreut.« Das war eine dreiste Lüge. Sie hatte überhaupt keinen Hunger. Sie konnte den Gedanken an Essen kaum ertragen, aber ganz sicher würde sie ihm nicht sagen, wie sehr sie seine Gegenwart verwirrte.
»Ach ja, wirklich?« Einer seiner Mundwinkel hob sich ein wenig. »Und dabei habe ich geglaubt, dir wäre es vielleicht lieber gewesen, ich wäre in London geblieben und hätte dich in Ruhe gelassen.«
Verdammter Kerl! Wie konnte er nur immer so klar ihre Ge-danken lesen? »Du hast wirklich ein Recht, hier zu sein, bestimmt mehr als ich. Hawksmoor House ist dein Heim.«
Marcus widersprach ihr nicht, sondern führte sie in einen kleinen, eleganten blauen Salon an der Rückseite des Hauses, der einen Blick aufs Meer bot. Nachdem er sie an einen leinengedeckten Tisch mit großzügig vergoldetem Geschirr und silbernem Besteck geleitet hatte, der von flackernden Bienenwachskerzen erleuchtet war, unterhielten sie sich höflich. Sie sprachen vom Wetter, von seiner Reise zu den verschiedenen Westindischen Inseln, alles folgenlose Bemerkungen, die nichts daran änderten, dass ihr Magen revoltierte und es ihr nur schwerer machte, das exquisite Mahl zu genießen.
Zwei Lakaien in schwarzsilberner Livree servierten Steinbutt in Hummersauce, Kalbsmedaillon, Austern, kandierte Karotten und Spargel.
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