Was die Nacht verheißt
los und drehten eine Runde übers Deck, bis sie wieder dort ankamen, wo sie begonnen hatten. Zum ersten Mal sah sie Marcus Delaine auf dem Oberdeck, und ihr Puls begann schon bei seinem Anblick schneller zu schlagen.
Er starrte hinaus aufs Meer, die dunkelblauen Augen irgendwo auf den Horizont gerichtet. Um dem Rollen der See zu widerstehen, stand er breitbeinig da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er schien so überlegen und allein, und doch war es ganz offensichtlich, dass ihm das Alleinsein gefiel.
Sie war sich nicht sicher, ob er ihre Anwesenheit bemerkt hatte, denn er ließ sich in keiner Weise anmerken, dass er sie zur Kenntnis nehmen wollte, doch als sie sich abwandte, hatte sie das Gefühl, als beobachte er sie und als folge ihr sein Blick auf ihrer zweiten Runde über das Deck.
Auf dem Rückweg blieben sie dicht unterhalb der Stelle stehen, wo er stand, um einer Gruppe von Matrosen zuzusehen, die die Taue teerten. Mr. Hopkins erklärte ihr, dass die meisten Dinge, die auf Deck verblieben, geteert wurden, um sie wetterbeständig zu machen. Der scharfe Geruch stieg ihr in die Nasenflügel, aber sie fand, so herb der Duft auch sein mochte, so war doch etwas seltsam Angenehmes daran.
Die Männer arbeiteten stetig und sangen ein Seemannslied, während ihre in Handschuhen steckenden Hände geschickt die zähe schwarze Masse auftrugen.
Ja, ich hört ihn wohl, den alten John,
Lass sie, Jimmy, lass sie.
Morgen kriegst du deinen Lohn,
Lass sie, Jimmy, lass sie.
Denn die See, die ging hoch, und rau war die Fahrt,
Und die Stürme war’n stark, und die Arbeit war hart,
Drum komm nur an Land und hol dir dein’ Lohn,
Zeit, sie zu verlassen, sagt der alte John!
Brandy hörte eine Weile zu, erfreute sich an der Melodie und dem Rhythmus, und dann brachte Ben Hopkins sie hinüber zu der Stelle, wo Brig Butler und mehrere andere Matrosen Segel flickten.
»Morgen, Miss Winters.« Der gut aussehende blonde Matrose zog die Wollmütze von seinem Kopf. »Ihr seht mächtig hübsch aus heute.«
Das war das erste Mal, dass einer der Männer den Mut aufbrachte, ihr ein Kompliment zu machen, und überhaupt hatten sie sie bisher sehr wenig angesprochen. Offensichtlich hatte Brig Butler keine Angst, den Zorn des Kapitäns zu erregen, so wie die anderen. Als ihr wieder einfiel, wie furchtlos er ihr im Laderaum zu Hilfe gekommen war, dachte sie, dass er vielleicht überhaupt keine Angst vor irgendetwas hatte.
»Danke, Mr. Butler.«
Er grinste draufgängerisch, und ein Grübchen erschien in seiner Wange. »Brig«, sagte er. »Mr. Butler klingt viel zu alt.«
Brandy musste lächeln. »Also gut... Brig. Dann müsst Ihr mich aber -«
»Er wird Euch Miss Winters nennen«, sagte Marcus mit herber Autorität und trat neben sie. »Wann immer er überhaupt eine der seltenen Gelegenheiten bekommt, mit Euch zu sprechen.«
»Aber -«
»Ich glaube, es ist Zeit, dass Ihr unter Deck geht. Ich werde
Euch selbst hinunterbegleiten, denn ich habe noch einiges am Schreibtisch zu erledigen.«
Sie wollte ihm widersprechen, sagte aber schließlich doch nichts. Marcus hatte sein Wort gehalten und sie auf Deck gehen lassen. Sie wollte ihm keinen Grund geben, es sich anders zu überlegen. Sie nahm Marcus’ Arm, und er führte sie hinunter, betrat hinter ihr die Kajüte und schloss die Tür.
»Es wäre vernünftiger, Miss Winters, wenn Ihr Euch nicht zu sehr mit Leuten aus der Mannschaft anfreundet. Brig Butler mag harmlos aussehen, aber in Wahrheit ist er ein lebenslustiger junger Draufgänger, der keinerlei Gewissensbisse haben würde, Euch Eure Unschuld zu nehmen.«
»Ich bin nicht an Mr. Butler interessiert, außer als Freund. Das habe ich Euch schon einmal gesagt.«
Etwas blitzte in seinen Augen auf, das heiß und eindringlich wirkte. Einen winzigen, kurzen Moment lang dachte sie, er könnte vielleicht eifersüchtig sein. Das war ein dummer Wunsch, und zweifellos hatte sie Unrecht damit. Und was immer es gewesen sein mochte, es verschwand nach Sekunden wieder hinter seiner kühlen Fassade. »Denkt nur an das, was ich Euch gesagt habe.«
Brandy achtete nicht weiter auf die unnötige Warnung. »Vielen Dank für die Erlaubnis, an Deck zu gehen. Es ist so ein schöner Tag heute. Ich habe mich sehr darüber gefreut.«
Marcus nickte nur. Er murmelte etwas, das sie nicht verstehen konnte, trat hinter seinen Schreibtisch, öffnete eine Schublade und machte sich an die Arbeit. Brandy setzte sich wieder mit dem Buch hin, in dem sie
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