Was die Nacht verheißt
gerade las, einem der Schauerromane der Mrs. Radcliffe, und stellte fest, dass, wenn Marcus auch mit im Zimmer war, es ihr nichts ausmachte, hier eingesperrt zu sein.
Genau genommen machte es ihr sogar Spaß, dass sie beide zusammen dort waren, Marcus vertieft in seine Akten und sie ganz in der Nähe, zufrieden in einem Buch lesend. Sie dachte, dass es sich vielleicht so anfühlen würde, verheiratet zu sein, wenn sie je das Glück hatte, den Richtigen zu finden. Dieser seltsam unpassende Gedanke schien irgendwie aus dem Nichts erschienen zu sein.
Sie wollte nicht heiraten - die nächsten paar Jahre noch nicht. Sie wollte etwas von der Welt sehen, etwas unternehmen. Sie wollte etwas vom Leben erfahren, bevor sie ein sesshaftes Leben begann.
Trotzdem konnte sie nicht anders, als ab und zu zu Marcus hinüberzuschauen, und sie dachte immer wieder, wie gut es sich anfühlte, so mit ihm zusammen zu sein. Sie fragte sich, was Marcus wohl tun würde, wenn er wüsste, was sie dachte.
Marcus sah auf von den Papieren, an denen er arbeitete. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, wenn Brianne auch im Zimmer war - nein, es war ihm beinah unmöglich, musste er zugeben. Er wünschte, er hätte sie wegschicken können, aber schließlich war sie auf seine eigene Anordnung hier.
Es ärgerte ihn immer noch ein wenig, daran zu denken, wie sie den jungen Butler angelächelt hatte. Himmel noch mal, hatte das Mädchen denn überhaupt keinen Verstand? Butler war ein guter Mann und ein verdammt tüchtiger Matrose. Aber er war auch ein Draufgänger und Schürzenjäger, der nicht die geringsten Skrupel hatte, was Frauen anging, besonders wenn er sie als die hübsche kleine Tussi des Kapitäns aus dem Wirtshaus betrachtete, die Meilen von dem Schutz ihres Vaters und ihres Heims entfernt war.
Marcus machte noch ein paar Einträge und sah dann wieder auf. Sie saß jetzt ruhig in einem Sessel in der Ecke, ohne zu zappeln wie sonst. Genau genommen schien sie in ihr Buch vertieft zu sein und mit ruhiger Zufriedenheit zu lesen. Er lächelte innerlich, denn der Anblick war ihm seltsam angenehm.
Dasselbe angenehme Gefühl hatte er schon vorher gehabt, als er sie bei ihrem Spaziergang über das Deck beobachtete. Sie war offensichtlich fasziniert von ihrer Umgebung, liebte die See, interessierte sich für die Mannschaft und war neugierig auf das Schiff.
Brianne Winters hatte etwas Besonderes an sich. Ein inneres Leuchten. Eine Lebenslust, die er bisher selten an Menschen beobachtet hatte. Sie schien davon regelrecht überzuströmen, strahlte so viel aus, dass es sich auch auf die anderen Menschen in ihrer Umgebung übertrug. Jilly Sharpe hatte es gesehen und sich bei seinem Versuch, es zu besitzen, vierzig Peitschenhiebe eingehandelt. Hamish Bass und Cyrus Lamb sahen es, und es gefiel ihnen. Die Männer der Besatzung spürten es und beneideten ihn um seine Stellung, denn sie glaubten, er wäre ihr Geliebter.
Marcus betrachtete sie, wie sie so friedlich in seiner Kajüte saß, und wünschte bei Gott, es wäre wahr.
Je mehr sie sich den Bahamas näherten, desto heftiger wurde Brandys Vorfreude. Marcus erzählte ihr ein wenig über ihr Ziel. Es waren beinah siebenhundert Inseln in der Gruppe, erklärte er ihr, doch nur wenige waren besiedelt. Die Seehabicht würde zuerst den Hafen von Black’s Bay auf den Spanish Keys anlaufen, ein kleines, dünn besiedeltes Inselchen vor Andros, der größten der Inseln, die südwestlich von New Providence, ihrem endgültigen Zielhafen, lag.
Obwohl die Siedler auf den Keys hauptsächlich englischer Herkunft waren, hatten sie ihren Namen von den Spaniern bekommen, die auch eine Weile hier gelebt hatten. Nachdem ein Teil der Ladung abgeladen war, würde das Schiff ostwärts nach New Providence segeln, wo sie den Hafen von Nassau, der Hauptstadt der Kolonie, zum Ziel hatten.
Brandys Herz schlug ein wenig schneller, wenn sie sich vorstellte, dass sie jetzt wirklich bald den Fuß auf fremden Boden setzen würde. Sie war noch nie in England gewesen, obwohl Marcus natürlich Engländer war, ebenso wie Ben Hopkins und eine Menge anderer Matrosen an Bord der Seehabicht. Sie hatten ihr eine ganze Menge Geschichten erzählt, und sie dachte, dass sie gern mal dorthin gehen würde. Vielleicht würde sie ja in der britischen Kolonie eine Vorstellung davon bekommen, in was für einer Welt Marcus lebte, wenn er nicht zur See fuhr.
Sie hatten den Hafen vor sieben Tagen verlassen, das Schiff machte gute Fahrt, denn eine
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