Was die Nacht verheißt
Brandy wich einem umgekippten Tisch aus und rief Flo eine Warnung zu, die gerade noch einem Zinnbecher ausweichen konnte und sich hinter der Bar in Sicherheit brachte.
Bis Big Jake den Kampf unter Kontrolle bringen konnte, sah das Innere des Wirtshauses aus, als wäre ein Orkan darüber weggebraust. Obwohl seine Männer nur teilweise schuld daran waren, bot Kapitän Delaine an, für den Schaden zu bezahlen. Brandys Vater betrachtete den kleinen Lederbeutel, den der Kapitän auf die Bar legte.
»Ich nehm Euer Geld für den Schaden, aber meiner Tochter gerbe ich das Fell, weil sie so was angezettelt hat.« Er griff nach ihrem Handgelenk und begann, sie zur Treppe zu zerren. »Es ist höchste Zeit, dass sie mal lernt, sich nicht immer so anzustellen, als wenn sie was Besseres wäre.«
»Es war nicht meine Schuld«, warf Brandy ein und wehrte sich gegen seinen Griff. »Ich habe die Sache nicht angefangen, sondern Cole Proctor.«
»Eure Tochter hat Recht. Sie war das Opfer, nicht die Ursache. Es wäre ungerecht von Euch, sie für etwas büßen zu lassen, auf das sie keinen Einfluss hatte.«
Das Kinn von Big Jake wurde hart, und sein Griff schloss sich noch fester um ihr Handgelenk. »Sie macht ständig Ärger, genau wie ihre Mutter und jede andere Frau, die ich je gekannt habe. Ich hätte nie für den feinen Lehrer bezahlen sollen. Jetzt meint sie, sie wäre was Besseres als wir anderen, weil sie so was wie Bildung hat.«
»Das ist nicht wahr, ich -«
Seine Handfläche traf mit einem harten Schlag ihre Wange. »Du sollst lernen, wo dein Platz ist, Mädchen. Ich werde schon noch dafür sorgen.«
Die dunklen Augen des Kapitäns richteten sich auf ihr Gesicht, das brannte und begonnen hatte, rot zu werden. Das einzige Anzeichen für seinen Ärger war der Muskel, der in seiner Wange zuckte. Ganz langsam schob er den Beutel auf der Bar zu Jake Winters hinüber.
»Ich und meine Leute waren schuld. Wenn das Mädchen verantwortlich gemacht wird, macht das keinen guten Eindruck bei den Männern.« Er lächelte, aber seine Lippen waren warnend schmal. »Alle wissen, dass das Weiße Pferd die beste Schänke am Kai ist. Es wäre sicher eine Schande, wenn sich meine Leute hier nicht mehr wohl fühlen würden.«
Jake Winters hörte die Worte und auch die versteckte Drohung. Marcus Delaine war ein wohlhabender, mächtiger Mann. Er war ein Graf und der Besitzer der Hawksmoor Schifffahrtsgesellschaft. Jake würde also nicht nur die Mannschaft der Seehabicht als Kunden verlieren, sondern auch die von fünf weiteren Schiffen - und alle diejenigen, die sonst noch unter dem Einfluss des Kapitäns standen.
Brandys Vater gab sich große Mühe, seinen Ärger in den Griff zu bekommen, aber die rötliche Farbe seines Gesichts machte ihr klar, wie schwer ihm das fiel. »Vielleicht habt Ihr Recht, Kapitän. Vielleicht war ich zu voreilig.« Er warf Brandy einen drohenden Blick zu und stieß sie in Richtung auf die Treppe, die hinauf zu ihrem Zimmer führte. »Du kannst dem Kapitän dankbar sein, dass er dir die Schläge erspart, die du verdient hast. Wenn du das nächste Mal Ärger machst mit deiner überlegenen Art, schwöre ich, dass du nicht mehr so viel Glück haben wirst.«
Brandy nickte, und die Scham kämpfte gegen die Erleichterung an. Sie warf dem Kapitän ein dankbares, wackliges Lächeln zu und machte sich auf den Weg die Treppe hinauf, wobei ihr langer kupferfarbener Zopf auf ihrem Rücken hin und her schwang. Sie war kein Kind mehr, aber ihr Vater behandelte sie, als wäre es so, und Marcus sah dies wohl ebenso. Warum nur behandelten sie einzig und allein Männer wie Cole Proctor als die Frau, die sie inzwischen geworden war?
Und wie lange würde sie sich noch die Tyrannei ihres Vaters gefallen lassen, bevor sie sich entschloss, etwas dagegen zu unternehmen?
Brandy schwor, dass es nicht mehr lange sein würde. Ganz bestimmt nicht mehr lange.
Die Gelegenheit kam wesentlich schneller, als sie erwartet hatte. Es war Schicksal, dachte sie, Gottes Antwort auf eines ihrer tausend Gebete. Es geschah am nächsten Morgen, als sie am Wirtshaus »Zu den Pinien« vorüberging, nur ein paar Häuser von ihrem entfernt. Sie war erst kurz auf der Straße, da sah sie Marcus Delaine aus der geschnitzten Tür treten und sich auf den Weg zum Anlegeplatz der Seehabicht machen.
Brandy sah die große Gestalt, die sich so selbstbewusst bewegte, und spürte denselben Anflug von Wärme, der sie immer durchströmte, wenn sie ihn sah. Sie ging
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