Was die Nacht verheißt
Angestellten. Das war nicht viel, was das Verhalten eines Vaters gegenüber seiner Tochter betraf, aber immer noch besser als vorher. Sie arbeitete jetzt weniger, sodass sie Zeit für sich hatte. Doch diese Zeit verbrachte sie gewöhnlich damit, an Marcus Delaine zu denken.
»Mein Gott, Flo, ich vermisse ihn so sehr.« Sie saßen in Brandys kleinem Dachzimmerchen, Brianne in ihrem Nachthemd, Flo noch in ihrer Arbeitskleidung.
»Ich hatte versucht, dich zu warnen«, sagte ihre Freundin. »Ich wusste ja, dass du in Schwierigkeiten kommen würdest, als du mit deiner verrückten Idee von dem blinden Passagier dahergekommen bist.«
Brandy zupfte an ihrem langen kupferfarbenen Zopf herum. »Vielleicht war es ja verrückt. Aber ich musste es einfach tun.« Sie sah ihrer besten Freundin in die Augen. »Ich liebe ihn, Flo. Ich glaube, ich liebe ihn schon mein ganzes Leben lang.«
Die dunkelhaarige Frau seufzte und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Es ist wohl das Schicksal der Frauen, einen Mann auch dann zu lieben, wenn er ihre Liebe nicht erwidert.«
»Ist das bei dir und Willie auch so? Du liebst ihn, er dich aber nicht?«
»Am Anfang war es so. Ich war erst achtzehn, als ich ihm begegnet bin. Er war blond und gut aussehend. Ich dachte, er wäre der schönste Mann, den ich je gesehen hatte.« Flo starrte in die Ferne, als könnte sie ihn sehen, wie er damals gewesen war. »Er war der Sohn eines Predigers, und ich arbeitete schon im Wirtshaus. Er wollte mit mir ins Bett gehen, hat mir aber von Anfang an gesagt, dass er mich nicht heiraten könnte. Sein Vater würde dem nie zustimmen. Ich habe ihn trotzdem geliebt. Und ich habe ihm gegeben, was er wollte.«
»Und was ist danach passiert?«
»Sein Vater bestand darauf, dass er ein Mädchen aus der Gemeinde heiratete. Willie tat, was sein Vater wollte. Sechs Monate später kam er zurück zu mir. Er war unglücklich. Das Mädchen war eine falsche kleine Hexe, die sich nicht das Geringste aus ihm machte. Er sagte, er bräuchte mich. Und ich brauchte ihn auch. Seitdem treffen wir uns regelmäßig, schon seit fast acht Jahren. Nicht oft, natürlich, und niemals hier im Wirtshaus. Aber ich glaube, inzwischen liebt er mich. Und ich weiß, dass ich ihn immer lieben werde.«
Brandy sagte nichts mehr. Flos Geschichte war einfach zu traurig. Sie dachte an Marcus, und es fiel ihr nicht auf, als ihre Freundin hinausging, sie hörte nur das leise Klicken der Tür, die sich hinter ihr schloss. Wenn jemand ihr Elend verstand, dann war es Flo.
Vielleicht hatte ihre Freundin sie allein gelassen, damit sie in Ruhe trauern konnte.
12
Marcus stand an der Reling der Seehabicht und starrte hinaus aufs Wasser. Weiße Schaumkronen brachen sich auf den Wellenkämmen, und eine steife, kalte Brise blähte die Segel. Sie knallten und schnappten, als kämpften sie mit einer unsichtbaren Macht, und in gewissem Sinn war es ja auch so. Und schließlich blieben sie die Sieger, die den Wind jagten, und sei es auch nur für Augenblicke.
Sie hatten England vor zwei Wochen verlassen und waren am Beginn einer Reise, die das Schiff ins chinesische Meer führen würde. Marcus war noch nie im geheimnisvollen Fernen Osten gewesen, hatte aber schon seit Jahren dort hinfahren wollen. Eigentlich hätte er sich auf die Fahrt freuen müssen, er wollte immer schon einmal einen so weit entfernten Hafen erreichen. Und er freute sich auch darauf.
Das war eines der Dinge, die er an seinem Leben auf hoher See so liebte, die Orte, in die er kam, die exotischen Menschen, denen er auf jeder Reise begegnete. Und doch war es diesmal anders, ein feiner Unterschied, ein Gefühl, das er nicht recht bestimmen konnte. Er wusste nur, dass in den letzten paar Monaten die Verlockungen der Ferne irgendwie ihren einstigen Glanz verloren hatten.
»Ihr steht schon eine ganze Weile da und starrt aufs Wasser hinaus. Ist es wieder das Mädel, das Eure Gedanken so schwer macht?«
Marcus hätte beinah gelächelt. Hamish war ihm manchmal
unheimlich. »Es ist schon seltsam, wie sie manchmal bei den eigenartigsten Gelegenheiten in meinen Gedanken auftaucht. Ich frage mich immer wieder, ob es ihr wohl gut geht.«
Hamish strich sich über den schweren grauen Bart. »Wenn Ihr sie mit einem ... Problem zurückgelassen habt, wird Euer Bruder sich darum kümmern. Er ist ein guter Kerl, der seinen Pflichten nicht aus dem Wege geht.«
Marcus schüttelte den Kopf. »Rex ist so schon überlastet. Zu der Grafschaft, die er für mich
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