Was die Nacht verheißt
rollten über ihre Wangen. Sie schluckte schwer, bemühte sich, die Worte hervorzubringen, obwohl ihre Lippen sich steif und taub anfühlten. »Da ist... da ist noch etwas, oder?«
Brig atmete langsam aus. »Er kann nicht gehen, Brandy.
Nach dem Unfall kehrten wir nach England zurück, und er wurde in seine Heimat nach Cornwall gebracht. Seit dem Tag, an dem er herausfand, dass er das Schiff würde verlassen müssen, dass er nie wieder als Kapitän würde mitsegeln können, war er nur noch wie ein lebender Toter. Ich habe ihn besucht -mit einer ganzen Gruppe von Leuten aus der Mannschaft der Seehabicht und Mr. Bass. Er lebt in einem feinen Haus auf den Klippen über dem Ozean, aber er verlässt es nie. Er sitzt nur den ganzen Tag da und starrt aufs Wasser hinaus.«
»O Gott.« Sie schloss die Augen und konnte Marcus ganz allein dasitzen sehen.
»Sein Bruder hat versucht, ihm zu helfen. Eine ganze Reihe von Ärzten hat er in London konsultiert, noch mehr sind hinaus zu seinem Haus gefahren.«
»Und keiner konnte irgendetwas für ihn tun?«
»Das weiß ich nicht sicher. Ich weiß nur, dass ich nicht ertragen konnte, ihn so zu sehen. Marcus war ein Freund meines Vaters - das hat er Euch nie gesagt, oder?«
»Nein ... hat er nicht.«
»Mein Vater ist Händler und sehr erfolgreich. Ich bin sein einziger Sohn. Das Letzte, was er wollte, war, dass ich davonlaufe und auf See gehe. Kapitän Delaine hat mit ihm gesprochen und ihm irgendwie klargemacht, wie wichtig dies für mich wäre. Ich habe immer zu ihm aufgesehen - wie wir alle. Wir konnten nicht einfach dastehen und nichts tun.«
Brandy blinzelte, und noch mehr Tränen rollten über ihre Wangen. »Ich muss zu ihm. Ich muss so schnell wie möglich zu ihm.«
Brig Butler drückte ihre Hand. »Ich habe gehofft... gebetet, dass Ihr das sagen würdet. Ich habe ein wenig Geld gespart. Der Rest der Mannschaft hat auch beigesteuert. Zusammen reicht es für Eure Überfahrt.« Er griff tief in seine Tasche, aber Brandy hielt seine Hand fest.
»Ich brauche kein Geld, Brig, nicht mehr. Mein Vater ist vor ein paar Wochen gestorben. So, wie es aussieht, hat er mir ein recht ordentliches Vermögen hinterlassen. Ich habe genug Geld, um alles zu tun, was ich möchte. Ich hatte sowieso vor, von hier wegzugehen. Ich wusste nur noch nicht, wohin.« Sie wischte über ihre feuchten Wangen. »Jetzt weiß ich es.«
»Es wird nicht leicht sein«, warnte sie Brig. »Er hat uns nur ein einziges Mal empfangen. Jetzt heißt es, dass er keinen mehr hereinlässt. Nur seinen Bruder und die Bediensteten, die ihn versorgen.«
Brandy setzte sich gerade auf. »Ich versichere Euch, Mr. Butler, wenn ich erst einmal dort bin, wird er mich hereinlassen -auf die eine oder andere Art.«
Brig Butler lächelte zum ersten Mal. Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Es tut mir Leid, dass ich Euch eine so schlechte Nachricht überbringen musste, aber früher oder später hättet Ihr es sowieso erfahren, und ... na ja ... wir dachten ... ich meine, wir von der Mannschaft... dass einer von uns hier sein sollte, wenn Ihr es erfahrt.«
Brandy stand auch auf. Ihr schmerzte die Brust fast unerträglich, und sie konnte kaum sprechen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte einen zitternden Kuss auf seine Wange. »Danke, dass Ihr gekommen seid, Brig. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie wichtig das für mich ist.«
Er lächelte sanft auf sie herab. »Vielleicht doch. Ich hoffe nur, dass ich eines Tages das Glück haben werde, eine Frau zu finden, die mich so gern hat wie Ihr Kapitän Delaine.«
13
Rexland Delaine schloss die Tür zum Meerblick-Salon und ließ seinen Bruder allein. Das Zimmer war Marcus’ erwähltes Domizil, eine Kammer mit viel Gold und Spiegeln und vielen
Fenstern hinaus aufs Meer, das sich in endlose Ferne fortzusetzen schien. Es war schon in Kinderzeiten Marcus’ Lieblingszimmer gewesen.
Rex fragte sich inzwischen, ob Marcus, an seinen Stuhl gefesselt, die lockende Schönheit draußen vor den Fenstern überhaupt noch wahrnahm.
Rex dachte an seinen Bruder und die schwierigen Stunden, die er in letzter Zeit mit ihm verbracht hatte, und die Muskeln in seinem Unterkiefer spannten sich. Er fuhr sich mit einer Hand durch sein welliges schwarzes Haar.
Mein Gott, was für ein Morgen.
Obwohl Rex und Marcus Söhne von zwei verschiedenen Müttern waren, sahen sie sich ziemlich ähnlich. Rex war ein wenig kleiner, seine Züge weniger kantig, seine Augen von einem helleren
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