Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
Conway.
»Also gut«, sagte Brenda. Sie holte tief Luft. »Ja, sie hat einen Freund. Seit elf Jahren. Sein Name ist Kenneth. Er ist … war Fallschirmspringer.«
»Daher also das Foto«, warf Conway ein.
Brenda schüttelte den Kopf und schluchzte. »Nein … Er sieht schon lange nicht mehr so aus wie auf dem Foto. Seit neun Jahren sitzt er im Rollstuhl, gelähmt und mit spastisch verkrümmten Gliedern. Er kann auch nichts mehr sehen und kaum noch etwas hören. Und trotzdem liebt Miss Waterhouse ihn abgöttisch.«
Entsetzt stieß Conway den Atem aus. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Brenda fuhr fort: »Es ist vor neun Jahren passiert, als er eine Zeit lang in Südafrika war, um andere Fallschirmspringer auszubilden. Kein Sturz, sondern eine Krankheit. Er hatte sich vorher in London eine Grippeimpfung geben lassen, da hatte er den Virus wahrscheinlich schon in sich, sagen die Ärzte. Als man ihn wieder nach Jersey zurückgeflogen hat, war er nur noch ein Schatten. Seitdem lebt er bei ihr. Sie überschüttet ihn mit Liebe, als wenn sie ihn geheiratet hätte. Und sie ist immer für ihn da. Immer. Auch nachts, wenn er diese schrecklichen Anfälle kriegt … Heute muss sie wieder zum Arzt mit ihm …«
Brenda schlug die Hand vor den Mund. Sie zitterte am ganzen Körper.
»Das tut mir leid«, sagte Conway hilflos. »Wenn ich geahnt hätte, dass sie so eine schwere Last tragen muss …«
Brenda nickte stumm und wischte sich mit den Fingern die Tränen ab. Langsam beruhigte sie sich wieder. So standen sie beide einen Augenblick lang schweigend da. Schließlich sagte sie: »Ich muss jetzt wieder ins Büro zurück. Und Sie haben mir was versprochen!«
»Sie können sich darauf verlassen«, versicherte er.
Brenda ging mit gesenktem Kopf zum Eingang zurück.
Conway schämte sich plötzlich dafür, dass er Jane Waterhouse immer mit Vorurteilen begegnet war.
Er hätte wissen müssen, dass es keinen Menschen auf der Welt gab, der unter seinem Herzen nicht wenigstens einen Schmerz und ein Geheimnis trug.
Der Anruf vom Gestüt ging ein, als Sandra Querée und Roger Ellwyn gerade dabei waren, am Computer einen Unfallhergang zu protokollieren. Sandra ging ans Telefon.
Willingham war am Apparat. Ohne Einleitung sagte er: »Ich weiß jetzt, wer es war.«
Sandra verstand.
Sie verzichtete darauf, Ellwyn darüber zu informieren, worum es ging, sondern sagte ihm nur, dass sie noch mal kurz wegfahren musste. Die Aufklärung des Falles Guiton sollte ihr Meisterstück werden, mit dem sie den Chef de Police überraschen wollte.
Willingham erwartete sie schon voller Ungeduld auf dem Parkplatz des Gestüts. Als Sandra ankam, zog er sie beinahe aus dem Auto. Eilig führte er sie durch die große Empfangshalle des Gestüts zu einem kleinen Nebenraum. Es war das ehemalige Büro von Guitons verstorbenem Vater, das jetzt nur noch als Abstellkammer für ausrangierte Möbelstücke fungierte. Auch hier roch es nach Pferd und Mist.
Der Verräter saß zusammengekauert auf der schäbigen Eckbank und kaute an seinen schmutzigen Fingernägeln. Sobald er die Polizistin erblickte, stand er auf. Hinter seinem Rücken, zwischen der niedrigen vergilbten Holzdecke und der Eckbank, hing die verblasste Luftaufnahme der Rennbahn von Windsor an der Wand. Über dem Tisch, vor einem staubbedeckten Fenster, baumelte ein Band mit Fliegenleim, an dem unzählige tote Fliegen klebten.
Die muffige Atmosphäre des Raumes schien den jungen Mann zusätzlich einzuschüchtern. Willingham hatte ihm in strengem Ton befohlen, dass er sich nicht aus dem Zimmer wagen sollte, und er hatte sich daran gehalten.
»So, da sind wir«, sagte Willingham zu Sandra, während er die Tür hinter sich schloss. »Darf ich vorstellen: Josh Nisbet, einer unserer beiden Bereiterlehrlinge – Constable Officer Querée.«
Josh reichte Sandra stumm die Hand. Die Innenfläche war feucht und kalt. Auch sonst stand dem großen, schlaksigen Jungen die Angst ins Gesicht geschrieben. Es war voller Sommersprossen, auf der Stirn hatte er mehrere Pickel.
»Darf ich Josh sagen?«, fragte Sandra lächelnd. Er war erst achtzehn, und sie wollte ihm von Anfang an das Gefühl nehmen, dass man sich vor ihr in Acht nehmen musste, nur weil sie Polizistin war.
Josh nickte.
»Okay«, sagte Sandra, »wenn es dir recht ist, würde ich unser Gespräch auf Band aufnehmen, dann musst du später nicht alles noch mal erzählen. Einverstanden?«
»Kein Problem.«
Alle drei setzten sich. Willingham
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