Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
Männern so offen zeigte.
Wir sind alle viel zu nett, dachte er düster und kritisch. Das ist der Preis, den Jersey für seine ehrenamtliche Polizei bezahlt.
Es war ein System, das einmalig auf der Welt war. Seit Jahrhunderten verwalteten die Bürger der Kanalinsel – 160 Kilometer vom britischen Festland entfernt und 21 Kilometer vor der französischen Küste in der Bucht von St. Malo gelegen – ihre Sicherheit selbst. Polizeiarbeit, kommunale Verwaltung und viele andere Aufgaben speisten sich aus dem System der Freiwilligkeit. Erst seit 1853 gab es in der Hauptstadt St. Helier zusätzlich eine hauptberufliche Polizei für die übergeordneten Aufgaben.
Doch der größte Teil der alltäglichen Polizeiarbeit wurde nach wie vor von den vielen freiwilligen, unbezahlten Polizisten in den einzelnen Gemeinden übernommen. Bis heute ließ die Verfassung von Jersey eine Anklage als Grundlage für einen Gerichtsprozess nur dann zu, wenn sie von der ehrenamtlichen Polizei erhoben wurde. Das sorgte für ihren hohen Stellenwert.
Die Honorary Police erfüllte also alle Pflichten, die auch Ordnungshüter anderer Länder zu bewältigen hatten. Ob Verkehrskontrollen, Geschwindigkeitsmessungen, Festnahmen und Verhöre – Männer wie Harold Conway und Frauen wie Sandra Querée waren für Jerseys Sicherheit unverzichtbar.
Conway war im Hauptberuf vereidigter Bausachverständiger, Sandra Querée arbeitete normalerweise in einer Apotheke. Beide hatten sich als Kandidaten für die Polizei in der Gemeinde St. Brelade aufstellen lassen. Nach ihrer Wahl waren sie ausgebildet und für eine Amtszeit von drei Jahren am Royal Court vereidigt worden.
Harold Conway war stolz darauf, dass er bereits mehrere Amtszeiten hinter sich hatte und dass er seinen Dienst als leitender Polizist – im Wechsel mit anderen vengteniers immer für eine Woche im Monat – nun schon viele Jahre tat. Als Chef de Police war er inzwischen erfahren genug im Umgang mit der Alltagskriminalität. Das meiste, womit er zu tun hatte, waren Verkehrsrowdytum, Drogendelikte, häusliche Gewalt und Prügeleien. Ansonsten war die Pfarrgemeinde St. Brelade ein friedlicher Platz auf Erden, und Conway wollte, dass es so blieb.
Das Polizeirevier war im Gemeindeamt des hübschen Küstenortes St. Aubin untergebracht. Der Chef de Police fuhr auf den Hof hinter dem Gebäude. Während er den Wagen einparkte, meldete sich vom Rücksitz Frank Guiton zu Wort. Seine Stimme klang gefasst. »Darf ich vor dem Verhör wenigstens meinen Anwalt anrufen?«
Conway bemühte sich um Korrektheit. »Miss Querée wird das für Sie erledigen.«
»Danke.«
Sandra öffnete die Autotür und wartete, bis Guiton ausgestiegen war. Dabei warf er der jungen Polizistin ein dankbares Lächeln zu. Sie lächelte schnell zurück.
Conway hob den Kopf. Durch irgendein offenes Fenster roch es einladend nach Toast, doch vielleicht bildete er sich das auch nur ein. Egal, plötzlich verspürte er Lust auf ein Croissant und eine Tasse Tee. Er hasste es, wenn er ohne Frühstück unterwegs sein musste. Wie für die meisten Bewohner von Jersey war auch für ihn die genießerische Freude an gutem Essen das vielleicht schönste Erbe ihrer französischen Vorfahren.
Kurz entschlossen sagte er zu Sandra Querée: »Nehmt schon mal die Personalien auf, ich muss noch schnell was erledigen. Aber mit der Befragung wartet ihr, bis ich wieder da bin.«
Sie nickte und verschwand mit Frank Guiton im Eingang der Dienststelle.
Conway sah hinter den beiden her. Noch wusste er nicht so recht, ob Guiton wirklich nur ein ahnungsloser Schnösel aus der Rennsportszene war oder ob er nicht doch einen Versicherungsbetrug plante. Er vermutete Letzteres, denn Guiton hatte einen Berg Schulden.
Schnell ging er über die Straße und holte sich aus dem kleinen Laden gegenüber ein frisches Croissant und einen Becher Tee, damit er endlich was in den Magen bekam.
Den Pappbecher vorsichtig von seiner Kleidung weghaltend, schlenderte er ein paar Schritte über die Promenade am Meer entlang. Die hübschen kleinen Geschäfte von St. Aubin befanden sich größtenteils in schmalen Häusern, in denen früher Handelsfirmen und Fischer ihren Geschäften nachgegangen waren. Davor lag die weit geschwungene Bucht, die bis nach St. Helier reichte. Noch war wenig Verkehr in St. Aubin, aber spätestens zur Mittagszeit trafen die Touristen ein, und dann wurde es schlagartig voll in den Hafenrestaurants.
In einiger Entfernung sah Conway das Schaufenster von
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