Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
Emily Blooms Teegeschäft. Der Sockel war in alter viktorianischer Tradition glänzend schwarz lackiert. Er wusste, dass es Emilys aus seiner Sicht lächerlicher Vorstellung von Stil und Perfektionismus entsprach, ihren Teeladen so zu präsentieren, als wäre man hier in London. Zwei Jahre lang war sie seine Schwägerin gewesen, vor langer Zeit, als er noch mit ihrer Schwester Edwina verheiratet gewesen war. Edwina lebte jetzt auf Neuseeland, und Harold Conway hätte nichts dagegen gehabt, wenn ihre Schwester Emily gleich mit ausgewandert wäre. Aber sie waren schließlich erwachsene Menschen, und so bemühte er sich, höflich zu Emily zu sein und mit ihr auszukommen, wenn sie sich irgendwo trafen.
Unterhalb der langen Schutzmauer zwischen Meer und Straße rannten Kinder über den Strand. Langsam kam die Flut zurück, und die dunstlose, klare Luft über der gekräuselten See versprach einen angenehmen, sonnigen Tag.
Er blickte auf die Uhr. Es war höchste Zeit, Frank Guiton auf den Zahn zu fühlen.
Als er ein paar Minuten später den kleinen Raum betrat, in dem das Verhör stattfinden sollte, war alles schon vorbereitet. Er nahm auf dem Stuhl an der Kopfseite des Tisches Platz. Sandra Querée war gerade draußen, um die Polizei von St. Ouen zu unterrichten, in deren Bereich Guiton wohnte. An Sandras Stelle saß ihr Kollege Roger Ellwyn am Tisch, ein bulliger, ungemütlich wirkender Mann, den keiner mochte, der aber für Verhöre dieser Art die ideale Besetzung war.
Ellwyn hatte Guiton bereits über die Vorwürfe gegen ihn in Kenntnis gesetzt. Conway gab ihm ein Zeichen, dass er anfangen sollte, damit Guiton gleich zu Beginn ein bisschen Respekt bekam. Später würde er dann selbst eingreifen. Mit diesem System hatten sie gute Erfahrung gemacht.
Ellwyn nickte. »Wir haben Sie heute zu Gast, Mr. Guiton«, sagte er in beißendem Ton, »weil alles dafür spricht, dass Sie ein Märchenerzähler sind. Nun hat Ihre schöne Geschichte vom Pferd, das unsichtbar wurde, also doch kein gutes Ende.« Seine Stimme wurde hart. »Haben Sie die Stute tatsächlich gestern Morgen gegen vier Uhr auf einer Weide in St. Brelade versteckt, wie zwei Zeugen behaupten?«
»Nein. Das ist eine Lüge. Das Pferd ist aus meinem Stall gestohlen worden«, sagte Guiton gefasst.
»Hätten Sie dann vielleicht die Güte, uns zu erzählen, wo Sie gestern Abend waren, nachdem man Ihr Pferd wiedergefunden hatte?«, fragte Ellwyn grimmig.
Guiton strengte sich an, Ruhe zu bewahren. »Ich war auf meinem Segelboot. Die ganze Nacht. Im Nachhinein ärgere ich mich natürlich, dass ich keinem meiner Leute Bescheid gesagt habe.«
Mit einem Mal spürte Conway ein Kribbeln in den Fingern. Er beugte sich vor und fragte:
»Und Sie waren natürlich allein auf Ihrem Boot?«
»Ja.«
Conway fuhr hoch. Seine abstehenden Ohren waren plötzlich knallrot, wie immer, wenn er einen seiner Wutanfälle bekam. »Mr. Guiton, ich möchte nicht von Ihnen veralbert werden! Sie sind ein gut aussehender Mann. Meinen Sie, ich habe nicht bemerkt, wie die Weiber Sie anschmachten? Ich kenne auch dieses … Plakat mit Ihnen. Wenn ich so gut aussehen würde wie Sie, würde ich auf meinem Segelboot keine einzige Nacht allein verbringen. Also – wir hören!«
Guiton schien mit sich zu kämpfen. Er spürte, wie schnell sich die Situation weiter zuspitzen konnte, wenn er jetzt schwieg. Schließlich legte er den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Also gut … Ich war an diesem Abend mit einer Frau verabredet. Aber sie ist nicht gekommen. Warum, weiß ich nicht.«
»Wie heißt sie?«
»Das möchte ich nicht sagen. Es wäre unfair, sie da hineinzuziehen, wenn sie sowieso nicht dabei war.«
»Oh nein!«, sagte Conway mit kaltem Lächeln. »Sie irren sich. Diese Frau ist nämlich Ihre einzige Chance, zu beweisen, dass Sie nicht untertauchen wollten! Also kommen Sie. Ich verspreche Ihnen, dass wir diskret vorgehen werden. Ist sie verheiratet?«
Frank Guiton schüttelte den Kopf. »Nein. Aber sie ist … Wie soll ich das erklären? … Sie ist etwas ganz Besonderes …«
»Sagen Sie uns einfach den Namen, Mr. Guiton«, drängte Conway.
Nach langer Pause, den Blick an die Holzdecke über seinem Kopf geheftet, sagte Frank Guiton schließlich: »Sie heißt Debbie Farrow.«
»Ich weiß zwar nicht, wer Debbie Farrow ist«, antwortete Conway. »Aber eines weiß ich: Bis diese Frau Ihre Aussage bestätigt hat, bleiben Sie wegen Fluchtgefahr in
Weitere Kostenlose Bücher