Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
sein.
In früheren Zeiten hatten die Steinstufen von der Friedhofspforte hinunter zum Strand als Perquage gedient – als Fluchtweg, auf dem zu Tode Verurteilte nach altem normannischen Recht das Land mit einem Boot verlassen konnten, nachdem sie in der Kirche Schutz gefunden hatten.
Für Debbie Farrow hatte es so viel Gnade nicht gegeben. Sie musste den umgekehrten Weg nehmen.
Eine halbe Stunde später stapfte Edgar MacDonald über den Flur der Kriminalpolizei in St. Helier und klopfte an die Tür des Vernehmungsraumes.
Jane Waterhouse kam heraus und sah ihn erwartungsvoll an. »Was Neues, Edgar?«
»Nein, keine Spuren von Frank Guiton rund um den Friedhof.«
»Und auf seiner Jacht?«, fragte sie leise.
»Kein Blut von Debbie Farrow. Nur ein paar ältere, schon verwischte Fingerabdrücke von ihr.«
»Danke.« Jane Waterhouse ging zurück in den Vernehmungsraum und nahm wieder Platz.
Beim Verhör von Frank Guiton hatte sie gerade etwas sehr Wichtiges erfahren. Er hatte zugegeben, dass das Verhältnis, das er seit zwei Monaten mit Debbie Farrow gehabt hatte, recht kompliziert gewesen war.
»Eine Zeugin behauptet, Debbie und Sie hätten sich in der letzten Woche heftig gestritten. Stimmt das, Mr. Guiton?«, fragte Jane Waterhouse in scharfem Ton.
Er nickte zögernd. »Debbie und ich hatten unterschiedliche Vorstellungen von unserer Beziehung. Ich hätte sie am liebsten jeden Tag gesehen, während sie … oft für sich sein wollte.«
Sein Gesicht war blass, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. Trotzdem hatte seine Attraktivität nur zum Teil gelitten, er war immer noch ein interessanter Mann, wie Jane Waterhouse sich eingestehen musste.
»Gab es im Leben von Debbie Farrow vielleicht schon einen neuen Mann?«, fragte sie.
»Ich glaube, nicht. Ihr Problem war ja gerade, dass sie Männern misstraute.«
»Kennen Sie den Grund dafür?«
»Es hat wohl was damit zu tun, dass sie ohne Vater aufgewachsen ist.«
»Werden Sie eigentlich schnell eifersüchtig, Mr. Guiton?«
Obwohl Jane Waterhouse die Frage sehr schnell und überraschend gestellt hatte, musste er nicht lange überlegen.
»Nein. Obwohl es ziemlich hart für mich gewesen wäre, wenn Debbie mir den Laufpass gegeben hätte.«
»Dann könnte man also sagen … für Sie war es die große Liebe. Würden Sie das so bezeichnen?«
»Ja.«
Tatsächlich war die Liaison von Debbies Seite aus noch reichlich fragil gewesen. Sie hatte erst zweimal bei Frank zu Hause übernachtet und einmal auf seinem Schiff. Einer Freundin namens Elaine Barrymore, die in der Nachbarschaft wohnte, hatte sie anvertraut, dass sie den Pferdezüchter zwar wirklich zu lieben glaubte, dass sie aber noch unsicher war, ob ihre schwierige private Situation schon eine so feste Beziehung erlaubte, zumal Frank im Umgang ziemlich kompliziert sein konnte.
»Gut. Dann wenden wir uns wieder dem Tatabend zu.«
Jane Waterhouse legte das Protokoll der telefonischen Aussage von Elaine Barrymore zurück in die rote Laufmappe, die für Frank Guiton angelegt worden war.
Ganz nach ihrem sportlichen Geschmack trug die Chefermittlerin an diesem Morgen ein weißes T-Shirt unter einem blauen Blouson. Mit ihren kurz geschnittenen Haaren sah sie aus wie eine Schülerin im Sportunterricht. Es wirkte fast lächerlich, dass der Verdächtige ein ganz ähnliches weißes T-Shirt anhatte, allerdings mit dem Aufdruck des Gefängnisses, in dem er während der Untersuchungshaft untergebracht war.
Frank Guiton war irritiert über die kühle, knappe Art der Ermittlerin, was dazu führte, dass er sich bei seinen Antworten unter Zeitdruck fühlte. Aber genau das bezweckte Jane Waterhouse vermutlich auch.
»Sie haben behauptet, Mr. Guiton, dass Sie den ganzen Abend auf Ihrer Segeljacht verbracht haben.«
»So war es auch …«
Ihre sportlich durchtrainierten, fast schon muskulösen Hände griffen nach einem Foto, das vor ihr auf dem Tisch lag. Es zeigte eine 36-Fuß-Segeljacht mit Namen Matador , einen eleganten dunkelgrünen Rumpf, Teakaufbauten, drei Kajütfenster.
Sie hielt das Foto hoch. »Erklären Sie uns doch bitte, wie es möglich ist, dass Sie eine ganze Nacht lang an Deck dieses auffälligen Schiffes sein konnten, ohne dass irgendjemand Sie gesehen hat. Wie soll das gehen?«
Seine Antwort kam ruhig und konzentriert. »Weil die Jacht nicht in einem Hafen liegt.«
»Sondern?«
»An einer einzelnen Ankerboje hundertfünfzig Yard vor der Küste, nahe der Portelet Bay.«
Jane Waterhouse sah die
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