Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
Ärztekongress in Madrid aufhielt und nur schwer erreichbar war.
Der einzige Mensch, dem Emily sich anvertrauen konnte, war Helen Keating. Helen neigte zwar manchmal dazu, nicht den richtigen Ton zu treffen. Aber sie war der ehrlichste Mensch, den Emily kannte.
Um diese Jahreszeit war Helens Park besonders schön. In langen Reihen zogen sich die duftenden Lavendelpflanzen mit den dichten blauen Rispen bis zum Wald, wo das Farmgrundstück an einem hohen Zaun endete. Zwei Pflückerinnen mit Strohhut auf dem Kopf und einem großen Sammelkorb in der Hand zogen in gebückter Haltung langsam durch die Reihen und sammelten die wertvollen Blüten ein. Jetzt, im Juni, begann die Erntezeit.
Am rechten Rand des Geländes stand die schlichte Halle, in der aus dem Lavendel das wertvolle Öl destilliert wurde. Da die hohe Hallentür zur Seite geschoben war, konnte Emily die beiden Männer sehen, die das gewaltige Destilliergerät bedienten. Sie kamen mit ihrer Arbeit kaum nach.
Helen und Emily saßen auf der Terrasse des Wohnhauses und genossen die warme Frühsommersonne. Helen hielt einen Lavendelzweig in der Hand und schnupperte daran. Es war eine neue Sorte, die sie in diesem Jahr zum ersten Mal angebaut hatte.
»Und warum bist du plötzlich so fest davon überzeugt, dass Richard noch lebt?«, fragte sie.
»Weil es genau zu seinem Wesen passen würde«, antwortete Emily nervös. »Er war immer konsequent. Anfangs habe ich das geliebt an ihm, aber in den letzten Jahren unserer Ehe hatte er sich sehr verändert. Das weißt du doch auch. Da war er nur noch mit sich selbst beschäftigt.«
»Ich bitte dich, Emily, niemand kann einfach so verschwinden! Dafür braucht man eine neue Identität, Papiere … Das wäre ja kriminell.«
Emily reagierte trotzig. »Dann ist er das eben – kriminell! Schließlich wollte er mich ja auch mit der Firma und den ganzen Krediten sitzen lassen, nur um mit seiner Geliebten zu verschwinden.«
Helen seufzte und verscheuchte eine Fliege von ihrer Wange. Durch die Arbeit im Freien war ihre Haut so stark gebräunt, dass man sie fast für eine Südländerin halten konnte. Auch ihre schwarzen Haare passten dazu. Sie war etwas älter als Emily, wirkte durch ihre sportliche Figur aber jünger.
»Jetzt pass mal auf«, sagte sie. »Du bist gekränkt und emotional platt wie eine Flunder, das kann ich gut verstehen. Aber dass du jetzt anfängst, die Sache noch weiterzuspinnen, geht einfach zu weit.«
»Ich spinne gar nichts weiter! Aber ich spür’s, Helen, glaub mir! Durch Debbies Tod ist etwas ins Rollen gekommen, und das rast wie eine Lawine auf mich zu. Und es hat viel stärker mit Richard zu tun, als ich gestern noch angenommen habe. Das ist mir heute klar geworden.«
»Dann geh mit deinem Verdacht zur Polizei.«
»Genau das kann ich eben nicht tun! Ich habe Constance und dem Vikar versprochen, niemandem davon zu erzählen. Mir sind die Hände gebunden, wenn ich die beiden nicht enttäuschen will.«
»Herrgott, Emily, es geht um einen Mord! Jersey ist schließlich nicht Rio de Janeiro oder sonst einer dieser scheußlichen Orte, wo man tagtäglich Leute umbringt. Bisher sind wir hier auf Jersey immer gut damit gefahren, auf Ehrlichkeit zu setzen. Was ist zum Beispiel mit Trevor de Sagan? Du hast gesagt, du traust ihm nicht. Trotzdem willst du deinen schlimmen Verdacht für dich behalten. Das ist doch schizophren.«
»Hör bitte auf, alles so einfach darzustellen. Das ist es nicht. Und ich bin schon gar nicht schizophren.«
Helen reagierte schnippisch, wie immer, wenn sie beleidigt war. So war sie auch schon gewesen, als sie noch neben Emily auf der Schulbank gesessen hatte. »Na gut. Dann muss ich mir deine Jammerei ja auch nicht länger anhören.«
Sie tat so, als wollte sie aufstehen und zu den Pflückerinnen hinübergehen.
Emily beugte sich vor und hielt Helen am Zipfel ihrer Jacke fest. »Jetzt bleib schon hier. Entschuldigung!«
Helen setzte sich wieder. »Warum reagierst du eigentlich so empfindlich, wenn ich Trevor de Sagan erwähne? Da ist doch irgendwas. Ich will’s jetzt wissen.«
Zögernd nahm Emily einen vorsichtigen Anlauf. »Ich habe heute verzweifelt versucht, mich an eine wichtige Begegnung mit Trevor und Alex Flair zu erinnern …«
»Alex Flair? Was hat der denn damit zu tun?«
»Wenn ich das nur wüsste! Aber es gab eine merkwürdige Verbindung zwischen Trevor, Alex und Richard, daran erinnere ich mich noch.«
Helen schaute sie ungläubig an. »Ausgerechnet du
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