Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
rund um die Insel.«
Sie wusste nur, dass diese extravagante Sportveranstaltung schon seit fünfzig Jahren existierte. Sie war typisch für ihre Landsleute. Jedes Jahr im Juli stürzten sich ein paar Verrückte ins Meer und schwammen in zehn Stunden einmal um Jersey.
»Ja, das schönste Wettschwimmen der Welt!«, fuhr Le Feuvre fort. »Leider ist Laura letztes Jahr mit dreiundsiebzig gestorben. Ein großer Verlust für den Schwimmclub.«
Vorsichtig versuchte Sandra, ihn wieder zum Thema zurückzuführen. »Und wer war das, der sie immer besucht hat und der mit einem Lieferwagen kam?«
»Ein junger Mann, so ein sportlicher Bursche. Ich hab ihn ja immer nur aus der Ferne gesehen. Aber fragen Sie mich nicht nach der Automarke. Irgendwas Dunkles mit einer Ladefläche.«
»Was hat er denn so regelmäßig geliefert? Hat Laura Jenkins mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Irgendwann einmal habe ich sie darauf angesprochen. Chinesische Kräutertees und asiatische Wundermittel, meinte sie. Wenn ich Laura richtig verstanden habe, hat sie diese Sachen unter der Hand gekauft. Sie glaubte fest daran, dass sie ihr die Schmerzen nahmen. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass sie seit vielen Jahren unter Arthritis und Zucker litt. Oder habe ich das schon gesagt?«
»Nein, aber es ist gut, das zu wissen. Waren es große Pakete?«
»Nein. Eher Päckchen, aber jedes Mal ziemlich viele. Und der junge Mann brachte sie immer gegen Abend.«
»Blieb der Fahrer lange bei ihr?«
»Höchstens ein paar Minuten, dann war er schon wieder draußen.«
»Wurde er dabei hin und wieder von einer Frau begleitet?«
»Nie. Jedenfalls habe ich nie eine gesehen.«
»Könnten Sie mir diesen Mann beschreiben? Wenigstens ungefähr?«
Er bemühte sich, das Bild des Lieferanten wieder vor Augen zu bekommen, doch es fiel ihm offenbar nicht leicht. Mit zusammengekniffenen Augen begann er die Merkmale aufzuzählen.
»Er war kräftig, mit braunen oder schwarzen Haaren … nicht sehr groß … oder doch, er war bestimmt eins achtzig …« Kopfschüttelnd brach er ab. »Es hat keinen Zweck. Es ist zu lange her.«
»Das macht nichts. Sie haben mir trotzdem sehr geholfen. Gibt es irgendwo Hinterbliebene von Mrs. Jenkins, die ich befragen könnte?«
Der alte Gärtner schüttelte traurig den Kopf. »Nein, sie hatte ja niemanden. Und in den letzten Jahren, nach ihrem leichten Schlaganfall, lebte sie ziemlich zurückgezogen.« Er seufzte. »Ein Jammer. So eine begabte Sportlerin, und plötzlich liegt sie tot im Bett … Bis dahin waren wir jeden Morgen zusammen im Meer schwimmen. Von Mai bis in den Oktober.«
»Alle Achtung!«, sagte Sandra voller Bewunderung.
Sie konnte sich gut vorstellen, wie sich Mr. Le Feuvre mit eisernem Willen bei Wind und Wetter in die kalten Fluten stürzte. Ihr eigener Großvater war auch ein solcher Haudegen der alten Schule gewesen.
»Wo hat Mrs. Jenkins denn gewohnt? Kann man das Haus von hier aus sehen?«
Le Feuvre zeigte auf ein Dach links hinter seinem Garten. »Dort drüben. Die neuen Besitzer haben es gerade umgebaut. Überhaupt – alles fremde Gesichter in unserer Straße …« Er wirkte plötzlich traurig. »Ich fürchte, inzwischen bin ich der Einzige, der die Erinnerung an Laura noch wachhält.«
Sandra bedankte sich bei ihm. Zum Abschied schenkte er ihr einen Salatkopf und zwei Gurken. Er war nicht davon abzubringen.
Als sie mit dem Gemüse in der Hand wieder auf der Straße stand, beschloss sie, trotz seiner Zweifel weiter in der Nachbarschaft herumzufragen.
Doch der alte Briefträger behielt Recht. In der ganzen Nachbarschaft war niemand zu finden, der ihr etwas über Laura Jenkins und den geheimnisvollen Lieferwagen sagen konnte.
Erst mit Verspätung begriff Emily Bloom den vollen Umfang des Dramas, das ihr Leben erfasst hatte. Auf einmal war alles brüchig geworden.
Ihr schrecklicher Verdacht, dass Richard seinen Tod nur vorgetäuscht hatte und in Wirklichkeit noch lebte, gewann immer mehr an Kraft. Gleichzeitig zermürbte sie diese erneute Beschäftigung mit dem Rätsel um sein Verschwinden. Auf den Klippen hatte sie Constance gegenüber so tun müssen, als sei sie stark genug, mit der Wahrheit über ihren Mann umzugehen. Doch in Wirklichkeit brauchte sie jetzt selbst jemanden, der ihr an diesem Abgrund von Lügen zur Seite stand. Ihr Sohn kam dafür nicht in Frage, jedenfalls jetzt noch nicht. Irgendwann einmal würde sie ihm alles erzählen. Es passte ganz gut, dass Jonathan sich gerade auf einem
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