Was habe ich getan?
die ihr trotz des in ihr aufsteigenden eifersüchtigen Zorns auf der Zunge lagen. Das sind meine Kinder, meine Kinder! Wie kommst du dazu, dass du sie siehst und ich nicht?
»Sie sind mal wütend und mal verwirrt, wie du dir vorstellen kannst, aber es geht ihnen sehr gut. Lydia bringt ihre Gedanken durch ihre Kunst zum Ausdruck und ist sehr ausgeglichen und entschlossen. Sie ist so stark wie du. Dominic ist eher ein wandelndes Pulverfass, aber das war er ja schon immer.«
Beide Frauen dachten kurz an ihre gemeinsame Zeit in Mountbriers zurück.
»Es wird ja nicht immer so bleiben, Kate, und deine Schwester macht das wunderbar. Sie hält dich jeden Tag durch Kleinigkeiten präsent – eine komische Bemerkung und eine lockere Erzählung über deine Kindheit, solche Sachen.«
Es tat gut, das zu hören. »Danke.«
Das Wort entschlüpfte ihren mit Spucke bedeckten Lippen. Vor lauter Sehnsucht tat ihr das Herz weh.
Meine Babys, meine Kinder.
Kate setzte ihr Lächeln auf und betrat das Klassenzimmer. Achtzehn Monate nach ihrer Verurteilung und dank ihrer vorbildlichen Führung war sie gebeten worden, für ihre Mitgefangenen Unterricht in englischer Literatur zu geben. Inhaftierte Englischlehrer mit der Bereitschaft zu unterrichten erwiesen sich als dünn gesät.
Ihre Mithäftlinge waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen. Die meisten hatten einen sozialen Hintergrund, der Kate ziemlich fremd war. Mehr als achtzig Prozent waren Drogensüchtige und saßen wegen Straftaten im Gefängnis, die sie begangen hatten, um ihre Sucht zu befriedigen. Viele dieser Frauen wollten ihr ihre Geschichte erzählen. Sie waren zwischen achtzehn und sechzig Jahre alt, aber ihre Geschichten ähnelten einander erstaunlich.
Alle erzählten vom eisernen Griff der Sucht, der bedeutete, dass die Beschaffung des nächsten Schusses jeden anderen Aspekt ihres Lebens in den Hintergrund drängte. Dafür verkauften sie alles, auch sich selbst, und machten vor nichts Halt, um an ihre Droge zu gelangen. Die meisten waren so viele Male ins Gefängnis gesteckt und wieder entlassen worden, dass man genauso gut eine Drehtür zwischen dem Heroin oder Crack auf der einen Seite und ihrer Zelle auf der anderen hätte anbringen können. Das Gefängnis schien ihnen die Ruhepause zu gönnen, die sie brauchten, und sie in die Lage zu versetzen, klar zu denken und Versprechungen zu machen, von denen sie wussten, dass sie sie wahrscheinlich nicht halten würden.
Kate taten vor allem die jüngeren Frauen leid, von denen die meisten von Anfang an schlechte Karten gehabt zu haben schienen. Kate war sich sicher, dass sie sich mit ein wenig mehr Führung und viel mehr Freundlichkeit vielleicht hätten aufraffen können, Kunst zu studieren oder Hotels zu entwerfen, wie ihre eigenen Kinder, anstatt sich zwölf Stunden am Tag langweilige Fernsehsendungen anzuschauen und sich von der anderen Seite des Zimmers über ihre Doppelgängerinnen lustig zu machen.
Als Kate ihre erste Unterrichtsstunde gab, verspürte sie ein überwältigendes Erfolgsgefühl. Das war nicht gerade die Umgebung, die sie sich vorgestellt hatte, als sie vor über zwanzig Jahren ihren Universitätsabschluss machte. Dennoch, jetzt war sie Lehrerin, sie war endlich jemand. Ihr Unterricht war immer beliebter geworden, und inzwischen nahmen alle daran teil. Mit Begeisterung betrat sie den Raum.
»Gut, Mädels, Hamlet ruft! Wenn ihr also bitte die Seite aufschlagen würdet, bei der wir letzte Woche aufgehört haben, an der Stelle, wo Ophelia traurigerweise beginnt, den Verstand zu verlieren, dann können wir weitermachen.«
Die versammelten »Mädels« lechzten alle danach, etwas zu lernen und dem Alltag zu entfliehen. Wünsche, die Kate nur allzu gut verstehen konnte.
»Was halten wir von Ophelia? Denken wir, sie ist wirklich verrückt? Oder geht da etwas anderes vor sich?«
»Ich glaube, sie ist verrückt, ja – weil sie sich den ganzen Mist von Hamlet gefallen lässt!«
Diese kurze Zusammenfassung rief gedämpftes Gelächter hervor.
Auch Kate lachte.
Hier gab es keine richtigen oder falschen Antworten, nur gesunde Meinungen.
»Das gefällt mir, Kelly. Du hast natürlich recht. Ophelia scheint allen männlichen Figuren in ihrem Leben ausgeliefert zu sein. Sie ist ein Opfer. Hamlet benutzt sie, um Rache zu nehmen. Ich denke, sie leidet wegen der Art und Weise, wie die Männer in diesem Stück die Frauen sehen. Selbst ihr Vater und ihr Bruder bestimmen ihr Leben. Glauben wir, dass es die
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