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Was habe ich getan?

Was habe ich getan?

Titel: Was habe ich getan? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Prowse
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Wunsch zu unterrichten?
    Kate war sich bewusst, dass sie etwas tun musste. Sie schluckte kräftig und klappte das Buch zu.
    Dann sagte sie mit freundlicher Stimme: »Manchmal ist es einfach, andere vorschnell zu verurteilen oder zu behaupten, wie man in einer bestimmten Situation reagieren würde. Ich glaube jedoch, unsere Gemeinsamkeit besteht in der Tatsache, dass wir wissen, wie schwierig es ist, richtige Entscheidungen zu treffen, wenn man vor lauter Müdigkeit, Angst oder Drogen ganz verwirrt ist. Wir verurteilen Ophelia genau wie die Leute uns alle verurteilen. Dabei werden sie wahrscheinlich nie erfahren, wie es ist, an unserer Stelle zu sein. Ich weiß, dass ich mir, wenn ich mich ein bisschen verloren fühle, wenn ich so erschöpft bin, nicht einmal eine Tasse Tee kochen kann, ohne zu heulen, geschweige denn, eine gute Entscheidung treffen. Was ich damit sagen will: Das Leben verläuft nicht immer geradlinig oder ist einfach. Aber das brauche ich gerade euch wohl nicht zu erzählen.«
    Ein paar Frauen lachten in sich hinein, doch im Allgemeinen herrschte Schweigen. Jede dachte an die schlechten Entscheidungen, die sie in dieses von Neonröhren beleuchtete Klassenzimmer im Marlhams Frauengefängnis geführt hatten.
    Beim Kratzen metallener Stuhlbeine auf dem Fußboden blickten sich alle um. Janeece hatte ganz hinten im Klassenzimmer gesessen, aufmerksam zugehört und sich wie immer jede Menge Notizen gemacht. Kate hatte ihr bei ihrer ersten Begegnung einen Ölzweig zugeworfen, und Janeece, die nie von irgendjemandem irgendeine Art von Unterstützung erfahren hatte, hatte ihn mit beiden Händen ergriffen.
    Sie stand langsam auf und zupfte in dem Bemühen, ihren rundlichen Bauch zu kaschieren, am Saum des grauen T-Shirts. Dann wandte sie sich an die Klasse, was ihr allen Mut abverlangte.
    »Ich denke, manchmal ist es am einfachsten, abzuhauen. Man braucht Mut, sich nicht aus dem Staub zu machen. Es muss schwieriger sein, sich einer unheimlichen oder schrecklichen Situation zu stellen, als zu gehen. Meine Mum ist abgehauen, sobald irgendetwas schwierig geworden ist. Ständig, bis sie eines Tages für immer verschwunden ist. Da war ich sechs. Es war ziemlich beschissen, wenn sie da war, aber es wurde noch viel beschissener, wenn sie fort war. Es hätte ihr viel Mumm abverlangt, dazubleiben und das Chaos in Ordnung zu bringen. Ophelia sagt: Wir wissen, was wir sind, aber wissen nicht, was wir sein könnten. Ich denke, das bedeutet, dass wir alle gute Entscheidungen treffen können, wenn wir uns bemühen. Dass wir werden können, was wir sein wollen. Es liegt an uns.«
    Kate strahlte.
    Wenn sie Janeece die Zuversicht vermittelt hatte, aufzustehen und vor den anderen Shakespeare zu zitieren, dann war ihre Arbeit vielleicht doch nicht so sinnlos oder egoistisch.
    Sie und Janeece hatten seit ihrer ersten Begegnung einen langen Weg hinter sich gebracht. Damals war Kate gerade erst seit einem Monat im Gefängnis. Sie war glücklich, dass ihre ersten Wochen ohne Zwischenfälle vergangen waren. Sie hatte es geschafft, eine Art Tagesroutine einzuhalten, und konnte trotz des nächtlichen Lärmpegels relativ gut schlafen.
    Damals saß sie wie fast jeden Nachmittag an dem großen Tisch im Gemeinschaftsbereich im Erdgeschoss. Die meisten Frauen hatten sich entweder vor dem Fernseher versammelt, spielten Poolbillard oder strickten. Doch sie hatte wie gewöhnlich die Nase in ein Buch gesteckt. An jenem Tag war es Thomas Hardys Die Liebe der Fancy Day gewesen.
    Ihre Haare waren noch immer ordentlich zu einem makellosen Bob geschnitten. Die vielen Jahre, in denen sie sich die Haare selbst geschnitten hatte, um eine gepflegte, schicke Frisur zu haben, zahlten sich hier jedenfalls aus. Sie spürte einen Stoß in ihrem Rücken, fuhr herum und sah sich einem riesengroßen Mischlingsteenager gegenüber, dessen Gesicht von Pickeln übersät war.
    »Ja, kann ich dir helfen?«
    Die Antwort des Mädchens kam schnell und klang feindselig.
    »Du hockst auf meinem Platz, du Schlampe«, schnauzte sie und biss die Zähne zusammen.
    »Ach ja, und wer bist du?«
    Kate hatte jahrelange Übung darin, ihre Angst zu verbergen und ruhig zu bleiben. Sie wusste, dass es am besten war, auf Provokationen nicht zu reagieren. Trotzdem pochte ihr das Herz auf einmal bis zum Hals. Würde sich das hier zu ihrer ersten heiklen Situation entwickeln? Sie lächelte das Mädchen an, als kümmere sie sich um eine verloren gegangene Sechsjährige, die allein im

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