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Was habe ich getan?

Was habe ich getan?

Titel: Was habe ich getan? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Prowse
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Löwenmauls erinnerte Kathryn an ein zu groß geratenes Puppenhaus. Manchmal stellte sie sich vor, wie es wäre, die Frontseite abzunehmen und im Inneren kleine Püppchen hin und her zu bewegen. Die Klassenzimmer waren in zwei quadratischen Gebäuden untergebracht. Außerdem gab es eine hübsche Kapelle aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert.
    Es handelte sich um eine jener schönen englischen Einrichtungen, die von jedem Winkel aus ein Postkartenmotiv boten und deren Charakter und Geschichte weit beeindruckender waren, als es der Alltagsbetrieb hätte erahnen lassen. Sie stand im Ruf, elitär, eingebildet und über den Rest erhaben zu sein, und das aus gutem Grund. Die Mountbriers Academy bot in vielen Fächern, von der Naturwissenschaft bis zur Kunst, überragende Ausbildungsmöglichkeiten. Zu den ehemaligen Absolventen zählten hochrangige Militärs, Premierminister, berühmte Wissenschaftler und Mediziner. Der Besuch dieser Schule war deshalb zwangsläufig mit einem gewissen Leistungsdruck verbunden.
    Das kunstvolle Goldemblem der Schule mit den ausgebreiteten Adlerflügeln und dem lateinischen Motto Veritas Liberabit Vos – die Wahrheit wird euch befreien – zierte nicht nur sämtliche Sporttrikots und Schuluniformen, sondern auch die Taschen, Fahrzeuge und sogar die Mülleimer der Schule. Alles war gleichermaßen gekennzeichnet. Die Schule ließ keine Gelegenheit aus, mit dem elitären Symbol zu werben, das ihre Schüler von anderen abhob. In Finchbury und Umgebung wurde es sofort als Privileg für wenige Glückliche erkannt. Nicht etwa, dass dies den zahlenden Eltern etwas ausgemacht hätte. Das alles war Teil einer sorgfältig organisierten PR -Kampagne, damit weiterhin die Gebühren flossen.
    Vorbei waren die Tage, in denen die Zulassung auf Empfehlung eines ehemaligen Schülers und einer strengen Eingangsprüfung erfolgte. Die Tage, in denen viele adlige Familien im holzgetäfelten Korridor auf und ab schritten und die Angestellten anschnauzten, während sie nervös darauf warteten, den cremefarbenen, mit dem Wappen geprägten Umschlag ausgehändigt zu bekommen, dessen Inhalt den Lebensweg des Sohnes entweder ebnen oder erschweren würde.
    Heutzutage war das alles ganz anders. Solange die Eltern das erforderliche Bankguthaben besaßen, konnte man in dem Rugbyhemd, das normalerweise nicht mehr als vierzehn Pfund kosten würde, auch Amok laufen. Da es aber mit dem Logo von Mountbriers versehen war, musste man es im schuleigenen Shop für knapp vierzig Pfund erstehen.
    Viele Ehemalige fanden jedoch die Tatsache wesentlich schockierender, dass die Schule inzwischen auch weibliche Wesen aufnahm. Sprösslinge neureicher Familien, die verzweifelt nach sozialem Aufstieg lechzten; Kinder von Oligarchen, die den Aufstieg in die europäischen Eliten im Blick hatten; Scheckbuchhippies, deren ehrenwerte Eltern sich zusätzliche Pullover überzogen, um sich gegen die Feuchtigkeit ihrer verfallenden Landhäuser zu schützen – sie alle drängten sich inzwischen in den von Porträts gesäumten Korridoren und den von Efeu überrankten Wegen. Jeder Schritt bekräftigte, wie glücklich sie sich schätzen konnten.
    Mark summte eine Melodie seiner Lieblingsouvertüre aus Tschaikowskys Romeo und Julia – die einzige, die er kannte. Er machte einen Schritt nach vorn, zog aus der Innentasche seines Jacketts eine Nagelschere hervor und schnitt die offene Blüte einer Rose ab. Das war eine von Kathryns Lieblingssorten, eine leuchtend pinkfarbene Rose namens Change of Heart.
    Kathryn biss sich auf die Lippen. Ein Trick, den sie stets anwandte, um sich die Worte der Missbilligung zu verkneifen, die ihr so häufig auf der Zunge lagen. So war es einfacher. Im Stillen zuckte sie zusammen, weil sie dachte, dass diese Blume wohl noch etwa eine Woche schön geblüht hätte, mit ein bisschen Glück vielleicht sogar zehn Tage, wenn kein starker Wind ihre hübsche Blüte zerzaust hätte. Jetzt würde sie innerhalb von einer Stunde verwelken.
    Mark steckte sich die Blüte ins Knopfloch und hob das Revers an, um den Duft einzuatmen. Zufrieden bückte er sich noch einmal und schnitt sorgfältig eine zweite Blüte ab. Er drehte sich zu seiner Frau um, streckte die Hand aus und überreichte ihr sein Geschenk.
    » Amor vitae meae. « Er sprach leise und deutlich.
    Liebe meines Lebens. Kathryn hob den Blick nicht vom Boden, sondern nahm die dargebotene Blüte zwischen Daumen und Zeigefinger. Marke legte den Zeigefinger unter ihr Kinn und hob ihr

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