Was habe ich getan?
lebte. Sie sahen sich nur höchst selten, deshalb freute sie sich über die kleinen Hinweise, dass er noch immer da war, im gleichen Haus lebte, obwohl sie ihn nicht wirklich zu Gesicht bekommen hatte.
Im Augenblick schien er die Rolle des zurückhaltenden Untermieters zu spielen, der bei jeder Gelegenheit in seinem eigenen Zimmer Zuflucht suchte. In Wahrheit, so vermutete sie, schlich er sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit davon, um in einem anderen Zimmer Zuflucht zu finden, einem Zimmer im Mädchentrakt. Sie war sich ziemlich sicher, dass Emily Grant das jüngste Objekt seiner Zuneigung war, aber es hatte keinen Sinn, sich dazu zu äußern oder sich einzumischen – in wenigen Wochen würde es nur ein weiteres hübsches Phantombild mit glänzenden Haaren sein. So schien das heutzutage zu funktionieren.
Im Leben ihres Sohnes gab es so viele Aspekte, die Kathryn nicht verstand, nicht nur seine Rituale in Sachen Liebeswerben. Sie missbilligte das jedoch keineswegs – in Wahrheit freute sie sich für ihn, freute sich für ihre beiden Kinder. Sie war glücklich, dass sie ein erfülltes, heiteres Leben voller Spaß und Trubel führten und eine Menge von Möglichkeiten vor sich hatten. Sie musste wissen, dass es genauso war und dass sich ihnen da draußen eine ganze Welt bot, die sie nur mit beiden Händen zu ergreifen brauchten. Was hätte alles sonst auch für einen Sinn gehabt?
Die Familie Brooker lebte inzwischen seit sieben Jahren in diesem Haus. Sie waren im September eingezogen, nachdem Mark vom stellvertretenden Schulleiter zum Direktor befördert worden war. Das war eine fantastische Leistung – er war der jüngste Direktor der Schule aller Zeiten. Das bedeutete ein glückliches Leben für sie und ihre Familie. Das musste so sein, weil jeder ihr das erklärt hatte, selbst ihre Schwester Francesca. Kathryn hatte bei ihr einen leichten Anflug von Neid entdeckt, und wenn Francesca neidisch wurde, dann musste es in jedem Fall wahr sein.
Sie wusste, dass die Außenwelt sie als die glückliche Kathryn Brooker ansah, die mit ihrer perfekten Familie und ihrer rosigen Zukunft ein erfülltes Leben in einem hübschen zweihundert Jahre alten Haus führte. Viele beneideten sie um die Geborgenheit ihres Daseins, ihr Ansehen und ihren materiellen Wohlstand. Ganz davon zu schweigen, dass sie sich den ziemlich gut aussehenden Mark Brooker geangelt hatte – an jenem Tag hatte sie eindeutig in einer anderen Liga gespielt. Das amüsierte Kathryn, weil sie wusste, dass die anderen schreiend die Flucht ergriffen hätten, würden sie auch nur einen Tag und eine Nacht an ihrer Stelle verbringen müssen.
Sie hätten sich an Felsen geklammert, bis ihnen die Fingernägel abbrachen, wären über Mauern geklettert, bis ihre Knie aufgeschürft waren, und hätten mit bloßen, blutigen Händen im Fundament gescharrt, um einen Fluchttunnel zu graben. Sie würden alles versuchen und vor nichts Halt machen, um sich aus dem geborgenen Leben zu befreien, das sie führte.
Dass sie in einem Gebäude auf dem Schulgelände wohnte, in einem Haus, das zur Schule gehörte, hatte zur Folge, dass sie nie den Eindruck hatte, es gehöre wirklich ihr. Und das war auch richtig so – es gehörte ihnen nicht. Meist fühlte Kathryn sich eher wie eine Kuratorin oder Verwalterin, nicht wie eine Hausfrau. Sie achtete ganz besonders auf den schwarzen gusseisernen Herd, die noch ursprünglichen Fensterzüge und den Parkettboden, als würde sie nach dem Zustand beurteilt, in dem sie dieses ehrwürdige Anwesen erhielt und an ihre Nachfolgerin weitergab. Selbstverständlich hätte die Geschichte sie genauso beurteilt, hätte nicht ein anderes, bedeutendes und ein wenig schockierendes Ereignis stattgefunden, das die Frage, ob ihre Fenster sauber und deren Seilzüge staubfrei waren, ziemlich irrelevant machte.
Die Kinder waren noch klein gewesen, als sie einzogen, und es hatte eine Weile gedauert, bis sie sich alle an ihre neue Umgebung gewöhnt hatten. Lydia konnte nach ihrem Bad nicht mehr splitterfasernackt herumlaufen, weil ständig Lehrer und Schüler unangekündigt vorbeischauten. Und Dominic hatte sich widerstrebend von seinen geliebten Hühnern, Nugget und Kiev, verabschieden müssen. Sie konnten das Risiko nicht eingehen, sie einfangen zu müssen, wenn sie auf dem Kricketfeld herumpickten. Einmal war schon genug gewesen, um die Mannschaft von Millfield zu verärgern, die bis zum heutigen Tag davon überzeugt war, dass es sich um eine ausgeklügelte
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