Was habe ich getan?
das jedes Jahr überall in der Karibik. Besondere Orte und Strände, die seit Generationen geliebt und frequentiert werden, gehören uns mit einem Mal nicht mehr. Die Insel schrumpft, und wenn man nicht Unmengen von Geld hat, kann man daran kaum etwas ändern.«
»Das ist ja herzzerreißend, einfach fürchterlich! Ich verstehe nicht, wie das erlaubt sein kann.«
»Es ist ein Problem, aber es ist nur ein kleiner Teil eines sehr komplizierten Puzzles. Es wäre besser, wenn mehr der Touristendollars in Einrichtungen für jene investiert würden, die sie am meisten brauchen. Aber so scheint es nicht zu funktionieren. Auf unserer Insel ist es wie auf allen anderen: Wir brauchen das Geld, das der Tourismus einbringt, aber es ist mit einem sehr hohen Preis verbunden.«
»Das verstehe ich nicht, Simon. Ich versuche mir vorzustellen, dass eine große Firma daherkommt und Englands Grünflächen aufkauft. Kannst du dir vorstellen, dass Exmoor, die Corkshire Dales oder der Lake District plötzlich nicht mehr zugänglich sind, weil sie verkauft wurden? Oder der Hyde Park oder die Bristol Downs? Die Leute würden das einfach nicht hinnehmen.«
»Das würden sie, wenn sie keine Stimme hätten. Manchmal ist es sehr schwer, dem Lockruf des Geldes nicht zu folgen. Es ruft am lautesten von allen.«
»Da bekomme ich ja geradezu Schuldgefühle: Ich wohne in einem dieser schicken Hotels.«
»Es ist gut, dass du dir dessen bewusst bist, und ich will nicht, dass du Schuldgefühle hast. Wir wollen unsere schöne Heimat mit dir teilen. Ich würde mir nur wünschen, die Leute würden merken, wenn das Maß voll ist.«
Sie nickte. »Alles in Maßen, stimmt’s?«
»Du hast es erfasst.«
Die beiden saßen eine Weile schweigend da und ließen sich von der Sonne die Haut wärmen.
»Kate, wovor versuchst du zu fliehen?«
Simon brachte das Thema so plötzlich aufs Tapet, dass seine Frage sie völlig überrumpelte.
»Na ja, ich weiß wirklich nicht, wo ich anfangen soll.« Sie grub die Zehen in den Sand.
»Wie wäre es mit dem Anfang?«, fragte er.
»Ich wünschte, das wäre so einfach. Genau genommen ist das Problem nicht, wo ich anfangen soll, sondern wie. Ich denke, du wirst vielleicht eine andere Einstellung zu mir haben, wenn du ein bisschen mehr über mich weißt, da du ein Mann des Glaubens bist.«
Simon schmunzelte. »Ist es nicht seltsam, Kate, dass du mich beurteilst, über meine Reaktion entscheidest, meine Einstellung vorhersagst, obwohl ich das bei dir nicht machen würde?«
»Du weißt nicht, was ich getan habe.« Kate biss sich auf die Unterlippe, um gegen deren nervöses Zittern anzukämpfen.
»Versuche es.«
Sie atmete langsam aus und bemühte sich, den Satz richtig zu formulieren, ihm die Information auf möglichst schonende Weise beizubringen.
»Ich war in den vergangenen fünf Jahren im Gefängnis und habe eine Strafe wegen Totschlags abgesessen. Ich habe jemanden umgebracht. Nicht irgendjemanden – ich habe meinen Mann getötet.«
Kate wartete auf eine Reaktion oder eine Bemerkung. Es kam nichts, und deshalb fuhr sie fort.
»Ich muss noch einmal von vorn anfangen und mir ein neues Leben aufbauen, aber ich weiß wirklich nicht, wie ich das anstellen soll. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Meine Kinder, Dominic und Lydia, sind böse auf mich, und das verstehe ich natürlich. Aber ich vermisse sie so sehr, dass ich an manchen Tagen kaum atmen kann. Mein Mann war ein grausamer Mensch, sehr grausam.«
Mit einer fast unterbewussten Geste strich Kate mit der Handfläche über die Rückseite ihrer Schenkel.
»Ich habe jahrelang beim Gedanken gezittert, mit ihm allein zu sein. Zwei Jahrzehnte war ich zu verängstigt, um den Mund aufzumachen, mir Hilfe zu holen oder irgendjemandem zu erzählen, wie ich lebte. Jeder Gedanke und jede Tat musste kontrolliert werden. Ich habe mich in mich selbst zurückgezogen und wusste, dass ich eines Tages ganz verschwinden würde. Simon, ich bedauere nicht, was ich getan habe, aber ich bedauere den Schmerz, den ich anderen damit zugefügt habe. Und dann empfinde ich ungeheure Gewissensbisse, weil ich frei bin, aber indem ich diese Freiheit gewann, meinen Kindern alles verdorben habe.«
Simon überlegte, bevor er langsam zu sprechen begann. »Lukas sagt: Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden. Erlasset einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden. Das ist mein Lebensmotto,
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