Was habe ich getan?
ihre Kammerjungfer, zur gewohnten Stunde hereintrat, fand sie ihre Dame schon aufgestanden und angekleidet.
Kathryn vertiefte sich freudig in die Seiten und gestattete sich, in die von Henry Fielding geschaffene Welt einzutauchen.
Das Lesen war ihre größte Leidenschaft und ihre einzige Fluchtmöglichkeit. Sie hatte immer gewusst, dass das gefährlich sein konnte. Falls ein Buch wirklich gut war, konnte es ihr Zeit und Aufmerksamkeit rauben, sie völlig fesseln und sie zwingen, mit den Figuren jeden einzelnen Schritt zu machen. Dann sah sie sich außerstande, sie zu verlassen, aus Angst vor ihrem ungewissen Schicksal. Und genauso war es für Kathryn an diesem Abend. Als sie die Wohnzimmertür laut gegen die Wand knallen hörte, waren achtzehn Minuten vergangen – nicht die zugestandenen fünfzehn.
Sie ließ das Buch fallen, ohne Rücksicht darauf, ob es beschädigt wurde, und kümmerte sich auch nicht darum, dass die hübsche Sophia unbeschützt in die Dunkelheit hinabstürzen und mit einem Knall auf dem Boden aufschlagen würde. Ihr Mann blieb in der offenen Tür stehen, sagte und tat nichts, und seine Miene war ausdruckslos. Als sie sich an ihm vorbeidrängte und in die Küche eilte, bemühte sie sich, ihm nicht in die Augen zu schauen. Beide sagten kein einziges Wort.
Kathryn entschuldigte sich leise bei den Gästen, dann entfernte sie rasch die Frischhaltefolie von den Canapés und entkorkte eine weitere Flasche gekühlten halbtrockenen Weißwein. Sie ging in der Küche hin und her, verteilte Teller und Servietten, bevor sie die nächsten Platten mit Köstlichkeiten auftrug. Diese wurden alle eifrig begrüßt und die Häppchen mit dem angemessenen Lob und Dank verzehrt. Krümel fielen in grau melierte Bärte, und Saucen und Dips landeten auf Krawatten und Revers. Sie hatte ihre Aufgabe gut gemacht.
Es war nach elf Uhr, als die Gäste schließlich gegangen waren. Die Spülmaschine lief, der Tisch war abgewischt, Tischsets und Untersetzer in die Schubladen geräumt und die Stühle ordentlich unter den Tisch geschoben.
Kathryn stieg die Treppe hinauf und betrat das Schlafzimmer. Sie ging gemessenen Schrittes, nicht gerade erpicht, an ihr Ziel zu gelangen, aber in dem Bewusstsein, dass jeder weitere Aufschub das Unvermeidliche nur hinauszögern würde.
Es war ein schönes Zimmer. Die hohe Decke und die kunstvolle alte Hohlkehlung passten hervorragend zu der wunderschönen Tapete mit Pfingst- und gefüllten Mairosen, deren Blüten in vielen Aubergine- und Dunkelrotschattierungen so echt wirkten, dass man sich wünschte, ihren Duft einzuatmen. Zwei große Schiebefenster blickten auf die Sportanlagen, allerdings verdeckten zu dieser Nachtzeit Jalousien den Ausblick. Auf dem cremefarbenen Teppich lagen flaschengrüne Läufer, um nackten Füßen genau die richtige Behaglichkeit zu bieten. Das antike Bett aus Mahagoni war groß und breit, mit üppigen Blumenschnitzereien im Kopfteil. Es hatte einst Marks Großmutter gehört und wurde sehr bewundert, aber Kathryn hasste es aus tiefstem Herzen. Häufig träumte sie davon, dass es von einem Holzwurm zerfressen wurde, bis nichts mehr übrig blieb als ein kleines Häufchen Staub und ein sehr dicker Wurm.
Trotz seiner Schönheit hatte sich das Zimmer für Kathryn mit schrecklichen Assoziationen verbunden. Sie war immer bestürzt, wenn Besucher anerkennende, begeisterte Bemerkungen machten. Eigentlich erwartete sie, dass sie das Leid, das dort in jedem Winkel lauerte, spürten und nicht überrascht wären, ganze Ozeane der von ihr vergossenen Tränen die Wände hinabrinnen, aus der Matratze tropfen und sich auf dem Boden zu Pfützen sammeln zu sehen.
Kathryn schlüpfte aus ihren Schuhen und dem Rock. Die hellbraunen Lederslipper stellte sie ordentlich unter den alten, gepolsterten und mit Chintz überzogenen Stuhl, der in der Zimmerecke stand. Den Reißverschluss ihres Rocks zog sie wieder zu, dann faltete sie das Kleidungsstück zur Hälfte, bevor sie es über die Lehne dieses Stuhls hängte. Ihre Bluse rollte sie zusammen und steckte sie mit dem BH und dem Slip in den Wäschekorb. Sie legte ihre Ohrringe und die Perlenkette ab und tat sie vorsichtig in den Schmuckkasten auf dem Frisiertisch. Mit Bürste und Zahnseide reinigte sie sich die Zähne, dann kämmte sie sich die Haare und entfernte sämtliche Spuren ihres Make-ups. Schließlich schlüpfte sie in eines ihrer fünf identischen weißen Nachthemden. Diese waren alle im Shaker-Stil geschnitten, ziemlich lang und
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