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Was im Leben zählt

Was im Leben zählt

Titel: Was im Leben zählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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eine Beziehung, an der ich ausnahmsweise festgehalten habe. Aber da wollte sie nicht.»
    Wir verstummen in gegenseitigem Verständnis für den Schmerz, so wegwerfbar zu sein.
    «Wie dem auch sei. Die Bilder werden dir gefallen», sage ich schließlich, stehe auf und gehe zur Tür.
    «Lass uns doch gemeinsam einen Blick daraufwerfen», sagt er.
    «Ich hab’s eilig», sage ich, obwohl das überhaupt nicht stimmt, aber ich habe das Gefühl, ich hätte bereits zu viel preisgegeben.
    «Dann warte kurz.» Er öffnet das winzige Fach am Boden der Kamera, zieht die Speicherkarte heraus, holt eine neue aus der Schreibtischschublade und schiebt sie in den Schlitz. «Das ist bis auf Weiteres deine. Nimm sie. Bring sie mir zurück, wenn du bereit bist.» Er schiebt die Kamera in meine Richtung über den Tisch.
    «Ich kann nicht.» Sage ich, auch wenn ich weiß, dass ich kann, dass ich sogar gerne würde.
    «Doch, du kannst», sagt er, als könnte er Gedanken lesen.

    Auf dem Weg von der Schule nach Hause fahre ich beim Geschäft meines Vaters vorbei. Darcy hat angeboten, ein- bis zweimal pro Woche auszuhelfen, um sich ein bisschen Geld zu verdienen. Als sie schließlich letzte Woche ihren Chef in der Bar, in der sie in L.A. kellnerte, anrief, um ihm zu sagen, sie wüsste nicht, wann sie zurückkäme, meinte der, kein Problem, er hätte sie bereits im August gefeuert.
    Von Ende September bis Anfang November herrscht im Laden tote Hose, wegen des vorweihnachtlichen Sparplans, den sich zu viele Haushalte auferlegen. Es ist nicht kalt genug, um über den Austausch alter Heizstrahler nachzudenken, und nicht warm genug für eine neue Klimaanlage. Ist erst mal November, werden die Kunden sich wieder die Klinke in die Hand geben: DVD-Spieler für die Ehefrau, die endlich regelmäßig Yoga machen möchte (auch wenn sie es nie tun wird); Riesenflachbildschirme für den Ehemann, der jetzt schon viel zu viel Zeit vor dem Sportkanal verbringt; Wii-Stations für die Teenager, die besser lernen sollten. O Gott, Weihnachten! Ich frage mich, ob ich es fertigbringe, Tylers imaginäre Socken mit einem metaphorischen Sack Kohle vollzustopfen. Möglicherweise.
    Ich betrete den Laden und höre aus dem Büro neben dem Lager streitende Stimmen. Vorbei an Minikühlschränken und Stapeln von Kartons mit Mikrowellen und Digitalkameras bahne ich mir einen Weg nach hinten. In den Eingeweiden des Ladens riecht es nach abgestandenem Kaffee. Immer noch besser, denke ich, als nach schalem Bier, so wie früher.
    Als ich den Kopf in das Büro meines Vaters strecke, verstummen beide wie auf Kommando. Sie sehen sich mit untertassengroßen Augen an und hoffen tatsächlich, dass ich nichts mitbekommen habe.
    «Hallo, Käferchen», sagt mein Vater. «Was führt dich denn her?»
    «Was ist los?», will ich wissen. «Warum habt ihr euch gestritten?» Warum habt ihr nicht mehr gestritten? , denke ich, als mir einfällt, dass Darcy meinen Vater seit mehr als zwei Wochen nicht mehr angefahren hat.
    «Es ist nichts, Püppchen», sagt mein Vater und lehnt sich zurück. Der klapprige Bürostuhl gibt gefährlich knarzend nach.
    Darcy starrt ihn an – wenn Blicke töten könnten! – und zieht die Schultern hoch.
    «Wirklich, nichts», sagt er noch mal und erwidert ihren Blick.
    «Alles in Ordnung, Darcy?», will ich wissen. «Stimmt etwas nicht mit dir?»
    «Hier geht es nicht um mich! Frag ihn!»
    «Äh, ist alles in Ordnung mit dir , Dad? Stimmt etwas nicht mir dir ?» Ich lasse mir den letzten Monat durch den Kopf gehen, frage mich, ob es etwas gibt, das besonders schiefgelaufen ist, ob mein Vater immer nüchtern war oder nicht, ob ich wirklich auf ihn aufgepasst habe, versucht habe, am Ball zu bleiben. Nein, nein, ich kann mich nicht erinnern. Ich beäuge ihn von Kopf bis Fuß.
    «Mir geht es gut; alles in Ordnung mit mir», sagt er, und ich nicke, weil er tatsächlich diesen Eindruck macht. Außerdem habe ich genug eigene Probleme.
    «Ich halt’s nicht aus!», ruft Darcy und verlässt wütend das Büro. Kurz darauf fällt klirrend die Ladentür ins Schloss, und weg ist sie. Ich weiß, dass sie kochend vor Wut in meinem Auto auf mich warten wird, wieder genau da, wo wir angefangen haben, bevor diese ganze Scheiße sich über mich ergossen hat: vor der Sache mit meinem Vater, vor der Sache mit Tyler, vor den Visionen von meiner königlich verkackten Zukunft.
    «Du solltest nach ihr sehen», sagt mein Vater seufzend und kneift sich in die Nasenwurzel, eine Angewohnheit,

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