Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
Wissen. Sie wird vom Manuskript Laon 412 bestätigt (H S. 176). Sie drückt eine ungewöhnliche Hochschätzung des Wollens aus, wie sie im 13. Jahrhundert eher bei Franziskanern als bei Dominikanern üblich war. Die Textform deformior , also: ‹weniger forma -haft›, ‹schwächer›, ist mit dem letzten Satz des Kommentars unvereinbar. Dieser bedeutet: Der Wille – dieses Wort bedeutete in der alten Welt nicht so sehr ‹Beschlusskraft›, als vielmehr ‹Liebe› – vollzieht über die Begrenztheit unseres Könnens und Wissens hinaus die unendliche Rückkehr zur Einheit.
XIII. Gott ist Ewigkeit, die in sich tätig ist, ohne sich dabei aufzuteilen oder eine Eigenschaft zu gewinnen.
DEVS EST SEMPITERNITAS AGENS IN SE, SINE DIVISIONE ET HABITV.
Geschaffene Wesen handeln und erwerben dadurch eine Eigenschaft. Sie handeln und ermangeln der Kontinuität, weil sie auf Widerstand stoßen. Ermattung beschneidet daher ihre Wirkkraft.
Beim Schöpfer ist es nicht so. Er verändert sich nicht und erwirbt keine zusätzliche Eigenschaft. Er braucht keinen Schatten, um erschöpft in ihm zu ruhen.
Agunt creata et acquirunt habitum. Agunt et deficiunt continuatione quia inveniunt resistens. Unde fatigatio scindit vim.
Sic non est in creatore. Non transmutatur acquirendo habitum. Non indiget obumbratione ut quiescat fatigatus.
Wenn wir handeln, handeln wir nach außen, daher spielen immer andere mit; andere Objekte, Materialien oder Personen. Insofern entstehen Trennungen und Einschränkungen. Wir gewinnen durch Handeln Eigenschaften, die wir zuvor nicht hatten; wir werden geschickter oder erfahrener; wir nehmen Außenerfahrungen in uns auf. ‹Eigenschaft›, ( habitus , gr.: hexis ) ist im Sinn von Disposition zu lesen, die man durch Handlungen gewinnt, zum Beispiel Schwimmenkönnen.
Handeln der unendlichen Sphäre spielt sich innerhalb ihrer selbst ab. Es erfährt keinen Widerstand und erwirbt keine neuen Eigenschaften durch Außenerfahrung. Denn es gibt kein Außen, kein selbständiges Gegenüber, kein getrenntes, fremdes Material. Schön die Metapher: Die unendliche Einheit, die immertätige, braucht keinen Schatten, um sich darin auszuruhen. Gott schläft nicht.
Definition XIII und der alte Kommentar lehnen sich eng an XII an, indem sie göttliche und menschliche Wirkmöglichkeiten vergleichen. Philosophen analysieren die irdische Welt, auch wenn sie von der Gottheit reden. Geschöpfe wirken, um Dispositionen zu erwerben. Sie sind nicht allein auf der Welt. Andere Wesen fördern oder hemmen sie – daher die Mühsal. Die unendliche Einheit richtet sich in ihrer Aktivität auf sich selbst, in ihrer Ganzheit. Sie steht nicht unter Zeitbedingungen. Sie braucht nicht wie Menschen sich von sich selbst zu distanzieren und eine neue Disposition zu gewinnen.
XIV. Gott ist der Gegensatz zum Nichts vermittels des Seins.
DEVS EST OPPOSITIO NIHIL MEDIATIONE ENTIS.
Diese Definition erzeugt die Vorstellung von Gott als einer Kugel, die in ihrem Mittelpunkt das Nichts einkerkert. Ständig wirkt die göttliche Kugel ihr göttliches Werk, das Nichts in ihrem Sein ewig zu erhalten, um die Sache, die sich gewissermaßen beim Mittelpunkt befindet, von dort in überschwenglicher Gutheit ins Sein zu rufen. Hebt sie die Sache herauf zum Wirklichsein, hat sie für immer Bestand, belässt sie sie im Möglichsein, fällt sie ins Nichts zurück.
Haec definitio imaginari facit Deum esse sphaeram in cuius centro nihil incarceratur. [ 41 ] Et est continue agens sphaera divina opus divinum quo detinet nihil in suo esse aeternaliter, a quo per exuberantiam suae bonitatis vocavit in esse rem quae est quasi circa centrum.
Quae si ad esse actum attrahit, stabit semper, [ 42 ] si ad esse possibile, redibit ad nihilum.
Ein besonders dunkler Spruch. Der Ausdruck mediatio , der als ‹Vermittlung› zu einem Grundbegriff der deutschen Philosophie nach 1800 wurde, war im Mittelalter ungewöhnlich; mehrere Abschreiber ersetzten ihn durch meditatio . Auch mittelalterliche Leser schwankten. Das Manuskript Laon 412 gibt dem Spruch XIV folgende Form: Deus est opposita ut meditatio entis : Gott ist die Gegensätze als Vermittlung des Seins (H S. 180).
Die Schwierigkeiten wuchsen, sobald das vierte Buch der Metaphysik des Aristoteles studiert wurde: In ihm beruhte jeder Gegensatz auf dem Gegensatz von Bejahen oder Verneinen, von Sein oder Nichtsein. Zwischen Sein und Nichtsein gab es bei Aristoteles keine Vermittlung, es sei denn das Werden. Hier
Weitere Kostenlose Bücher