Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
Urteil im 14. Jahrhundert fast verschwunden waren, dies hängt nach ihm mit der Verkennung des Prinzips der hermetischen und damit aller Philosophie zusammen. Bradwardine erinnerte oft an die Verurteilung von 1277; er reklamierte gegen jede Form von paganisierendem Naturalismus die gemeinsame Einsicht von Philosophie und Theologie, dass der eine Grund der Welt alles in allem bewirkt. Er betonte den philosophischen Ursprung dieser Ansicht: «Die Philosophen wissen es, ebenso die Theologen: Jedes Geschöpf, das Gott gemacht hat, hängt immer in seinem Sein von ihm ab als von dem, der es notwendigerweise erhält. Auf ähnliche Weise hängt es in seinem Handeln von ihm ab, denn aus sich ist es nicht vermögend, irgend etwas ohne Gott zu tun, der in besonderer Weise mitwirkt, ja, der in grundlegender Weise vorauswirkt» ( De causa Dei I 40, S. 131 C–D).
Dies ist keine bloße Wiederholung des augustinisch-kirchlichen Dogmas, und ob er, wie man gesagt hat, ‹Determinismus› vorträgt, könnte nur eine eingehende Untersuchung von Buch II und Buch III entscheiden. Durchweg liegt seinem Buch die Ansicht zugrunde, die wahre Philosophie sei die wahre Religion: Vera philosophia in cognoscenda divinitate et sancta divinaque religione consisti ( De causa Dei I 39, S. 104E).
Das ist gewiss nicht «consistent with the teaching of St. Thomas», schon gar nicht bedeutet es die Verweisung der Philosophie aus dem Gebiet der Gotteserkenntnis. Es ist hermetisch-platonisch; es folgt aus dem emphatischen Begriff des ‹Ersten›, wie er dieser Philosophie eignet und wie er Aristoteles nicht fremd ist. Ein freieres und sachlicheres Verhältnis zu Aristoteles als bei Bradwardine wird man im Mittelalter selten finden. Die Mängel des Aristotelismus waren ihm klar; die Verurteilung von 1277 und die Einwände des Duns Scotus und anderer standen ihm vor Augen. Aber Bradwardine stellte Aristoteles in den Gesamtrahmen der hermetisch-platonischen Tradition. Er verwarf die Platon-Kritik des Aristoteles; schon Calcidius und Eustratius hätten gezeigt, dass diese Vorwürfe des Aristoteles gegen seinen Lehrer unzutreffend seien.
Bradwardine stützte sich auf die pseudo-aristotelische Schrift Secretum Secretorum , um das Bild eines anderen, des platonisierenden Aristoteles, zu zeichnen. So konnte er dann gelegentlich sagen: «Hermes, der Vater der Philosophen, und Aristoteles, sein Sohn.»
In seiner großen Zusammenstellung platonisierender Axiome zum Verhältnis von Grund und Begründetem im 2. Kapitel des I. Buches von De causa Dei zitierte Bradwardine daher nicht nur Sätze der augustinischen und der arabischen Philosophie, sondern nannte neben Proklos (vor allem den ersten Satz der Elementatio ) auch aristotelische Grundsätze dafür, dass alles Viele nur durch das Eine existiert und wirkt.
In seiner geschichtlichen Welt der bunten Mannigfaltigkeit hierarchisch gestufter Zwischeninstanzen stellte Bradwardine seinen Gott als absoluten Weltmonarchen auf. Er verwahrte sich aber dagegen, ihn als Tyrannen zu denken, der sagt: «So befehle ich, so will ich es, es gilt statt der Begründung mein Wille» ( De causa Dei I 21, S. 229E). Er sah die Theologie des 13. Jahrhunderts überwiegend beherrscht von der frühbürgerlichen Mentalität, die auch das jenseitige Schicksal des Menschen berechnen und vertraglich vorklären wollte. Ihr gegenüber wirkte seine Verwerfung jeder Art von Verdienst schroff. Hart sprach er es aus: Die Augustin-Abschwächungen waren inkonsequentes Denken und entsprangen der Kaufmannsmentalität: Sie wollen die Gnade kaufen.[ 89 ]
Die Gnadenphilosophie Bradwardines mit der für sie wesentlichen Polemik gegen die theoretischen Befürworter autonomer Zwischeninstanzen und kaufmännischer Kulanz zeigte die Grenzen der spätmittelalterlichen Welt. Sie dachte – in der Form spekulativer Theologie – hinaus über Lehenspyramiden, Kleinstaaterei und kirchliche Geldgeschäfte. Sie rief die hermetisch-platonische Philosophie als Schlüssel zur paulinisch-augustinischen Prädestinationslehre gegen ihr Jahrhundert auf und erschloss dabei einen ungeheuren Reichtum vergangener Philosophie und Poesie; aber sie tat dies unromantisch, als unerbittliche Kritik an den Zurechtlegungen des 14. Jahrhunderts.
Rückblick
Blicken wir hier noch einmal zurück auf die Rolle des Liber in der Geschichte des Denkens. Er hatte eine eminente Funktion beim Übergang vom geschlossenen Universum zur offenen Welt; dies haben Dietrich Mahnke und Alexandre
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