Was Liebe ist
Die Frau kniet vor dem Mann und bedient ihn, wie es zu erwarten war. Besonders männlich findet er es nicht, den Akt vor Publikum zu vollziehen. Eigentlich ist der Mann für ihn eine Art Clown.
Er fragt sich, was Glück ist. Wirklich glücklich sein, glaubt er, kann man nur in der Kindheit. Oder könnte man.
Im Hotel improvisiert Zoe ein wenig mit dem, was sie beim Live-Sex gesehen haben. In Slip und BH stellt sie sich mit dem Rücken vor ihn, reibt ihren Po in seinem Schritt und erwartet, dass er ihr den BH auszieht. Sie meint es nicht ernst, es ist natürlich nur ein Spiel. Trotzdem fühlt er sich in eine Rolle gedrängt, die er nicht möchte.
Der Sex, den sie in den vergangenen Tagen hatten, braucht keine Verfeinerungen oder Live-Sex-Korrekturen. Aber er will kein Spielverderber sein. Zoe ist nach den Drinks gut drauf. Sie wiegt sich sanft in den Hüften. Er möchte nicht, dass seine Nüchternheit jetzt zum Hindernis wird. Er hakt den BH auf und streift ihr die Träger von den Schultern. Er streichelt ihre Brüste.
Zoe öffnet ein wenig ungeduldig seine Hose. Sie hat für ihn zu viel Fahrt. Mit drei Flying Dutchmans im Blut liebt es sich leicht. Er versucht in Gedanken dorthin zurückzufinden, wo sie in den vergangen Tagen waren: ihr Bed-in. Das tiefe Verlangen, als er sie zum ersten Mal unter der Dusche hat stehen sehen. Der brennende Wunsch, sie überall gleichzeitig zu berühren.
Zoe hilft ihm auf. Sie kann das. Jemand hat es ihr beigebracht. Er möchte jetzt um alles in der Welt nicht daran denken müssen, wer das gewesen sein könnte. Aber er muss daran denken. Sie schiebt die Bettdecke auf den Boden. Die brauchen sie nicht. Sie zieht ihn aufs Bett, setzt sich auf ihn.
Ihr Oberkörper zeichnet sich dunkel vor den Fenstern mit dem farbigen Nebellicht ab. Er legt die Hände auf ihre Hüften und gibt ihr einen Rhythmus vor. Aber irgendetwas hindert ihn daran, sich fallen zu lassen. Er kommt nicht weiter, obwohl sie sich seinen Bewegungen anpasst. Sie ist für ihn da. Es erregt sie, für ihn da zu sein.
Er will sie nicht enttäuschen. Ihre Augen sind geschlossen, und sie atmet tief. Wahrscheinlich könnte sie auch ohne ihn kommen. Vielleicht wäre es das Beste so. Aber sie gibt nicht auf, sie will ihn mitnehmen. Geduldig bietet sie ihm dieses und jenes an. Irgendwann gelingt es ihm mit Hilfe einer Fantasie, die nicht der Rede wert ist, den Weg frei zu bekommen. Es überrascht ihn selbst. Sie werden zusammen fertig.
Sie liegen erschöpft nebeneinander. Seine Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt. Zoe ist im Grachtenlicht schöner, als irgendein Künstler sie je malen könnte. Ihre Augen sind geöffnet, sie sieht an die Zimmerdecke. Ist sie glücklich? Müsste er es nicht sein? Er hatte Sex mit der schönsten Frau, die er kennt. Er sagt: »Musstest du dir gestern bei Piet genauso viel Mühe geben?«
Sie richtet sich auf. Ihre Augen, eben noch schläfrig und zufrieden, füllen sich mit glühendem Zorn. Sie hebt eine Hand und schlägt ihm ins Gesicht. Dann steht sie auf undgeht zum Tisch, auf dem der Schlüssel des zweiten Zimmers liegt, das sie gemietet haben.
»Was bist du für ein Arsch!«
Sie zieht ihr T-Shirt über und geht zur Tür. Sie trägt keinen Slip. Sie denkt nicht daran, oder es ist ihr egal. Sie verlässt das Zimmer und schlägt die Tür hinter sich zu. Es ist mitten in der Nacht. Er denkt: Wahrscheinlich musste es so kommen.
FÜNFZEHN
AN SEIN MEDIKAMENT zu kommen, ist weniger kompliziert, als er befürchtet hat. Morgens ruft er Grunder an, seinen Neurologen, und schildert ihm das Problem. Grunder bleibt gelassen. Er werde einen befreundeten Neurologen an der medizinischen Fakultät der Amsterdamer Universität bitten, ein Rezept für Topamax auszustellen und an eine passende Apotheke zu faxen.
Er bedankt sich und schlägt die Meulen-Apotheke in der Geldersekade vor. Als Zoe verkatert im Bett lag, hat er dort Vomex und Aspirin gekauft. Wenn es so weitergeht, wird er in der Meulen-Apotheke zum Stammkunden. Der Nebel hat sich über Nacht verzogen. Das Sonnenlicht fällt klar auf die hohen Giebel auf der anderen Seite der Gracht. Mit ihren barocken Verzierungen und Ornamenten sehen sie aus wie leuchtende, auf den Fassaden thronende Perücken.
Er ist allein im Zimmer. Zoe ist in der Nacht nicht zurückgekommen. Unter der Dusche denkt er an sie, an das sanfte Kitzeln, als sie aus seiner Hand gelesen hat, daran, wie sie in ein Bettlaken gehüllt geraucht hat. Während das Wasser
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