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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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Google die zentrale Rolle der am häufigsten übersetzten Sprache in seiner Datenbank übersetzter Texte aus der ganzen Welt nutzt und zugleich verstärkt – derselben, aus der auch in allen anderen Medien am meisten übersetzt wird.
    Englische Kriminalromane etwa dürften in nicht geringer Zahl sowohl ins Isländische als auch ins Farsi übersetzt worden sein. Sie liefern daher reichlich Material für die Suche nach Entsprechungen zwischen Sätzen in den beiden Fremdsprachen; wohingegen ins Isländische übersetzte persische Klassiker viel seltener sein dürften, sogar wenn man Werke hinzuzählt, die durch Vermittlung über das Französische oder Deutsche diesen Weg gefunden haben. Daraus folgt, dass John Grisham einen größeren Beitrag zur Qualität der von GT angebotenen Isländisch-Farsi-Übersetzung leistet, als es Rumi oder Halldór Laxness jemals könnten. Und die eigentliche Zauberkraft Harry Potters liegt vielleicht in seiner verborgenen Fähigkeit, das Übersetzen aus dem Hebräischen ins Chinesische zu fördern.
    Von GT generierte Übersetzungen gehen ihrerseits wieder ins Web ein und werden Teil des Korpus, den GT durchsucht, was über die damit erzeugte Rückkopplungsschleife die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die ursprüngliche Google-Übersetzung akzeptabel war. GT profitiert aber auch von Übersetzern, da es Benutzer stets zu Vorschlägen auffordert, die eine von ihm erzeugte Übersetzung verbessern – der so entstehende Kreislauf führt zu größerer Genauigkeit. Ein sehr cleveres Verfahren. Ich habe es selbst schon genutzt und überprüft, inwieweit ich etwa einen schwedischen Satz verstanden habe, und es dient automatisch als Webseiten-Übersetzer, wenn man eine Suchmaschine befragt. Natürlich kann auch vollkommener Unsinn herauskommen. Unsinn, der von einer Übersetzungsmaschine erzeugt wird, ist meist aber weniger gefährlich als von Menschen gemachte Fehler. Man sieht meist auf den ersten Blick, wenn GT irgendwo gepatzt hat, weil das Ergebnis keinen Sinn ergibt. (Deswegen sollte man GT auch nicht zum Übersetzen in eine Sprache verwenden, die man nicht gut kennt. Nehmen Sie es nur für Übersetzungen in eine Sprache, in der Sie Sinnwidriges sicher erkennen.) Übersetzer wiederum produzieren besonders gut lesbare und sinnvolle Ergebnisse, und ob Sie falschliegen, können Sie im Grunde nur wissen, wenn Sie die Quelle verstehen – in welchem Fall Sie die Übersetzung nicht benötigen.
    Wenn Sie weiter meinen, eine Sprache bestehe eigentlich ja doch aus Wörtern und Regeln und ihre Beziehung zur Bedeutung lasse sich berechnen (ein Märchen, eine Fantasie, an die sich viele Philosophen immer noch klammern), dann ist GT kein Übersetzungsverfahren. Dann ist es nur ein Trick, angewendet von einem elektronischen Bulldozer, der anderer Leute Arbeit stehlen darf. Wenn Sie aber aufgeschlossener sind, verweist GT auf etwas anderes.
    Konferenzdolmetscher ahnen oft voraus, was ein Redner gleich sagen wird, weil Redner auf internationalen Konferenzen immer wieder die gleichen formelhaften Dinge sagen. Ebenso weiß ein erfahrener Übersetzer, der auf vertrautem Gelände arbeitet, ohne nachzudenken, dass es für bestimmte Textstücke eine Standardübersetzung gibt, die er verwenden kann. Auf noch einfacherer Ebene weiß jeder Übersetzer, dass es bei den Sprachen, mit denen er arbeitet, Usancen der Umstellung gibt – so fordert etwa das französische unpersönliche Pronomen on fast immer, den deutschen Satz ins Passiv zu bringen, genauso wie Adjektive, die einem französischen Substantiv nachgestellt sind, dem entsprechenden deutschen Substantiv vorangestellt werden müssen, und so weiter. Solche Automatismen ergeben sich aus der Praxis und der Erfahrung. Übersetzer erfinden das Rad nicht alle Tage neu und tüfteln auch nicht jedes Mal, wenn im französischen Text on vorkommt, neu aus, dass das in eine deutsche Passivkonstruktion zu überführen ist. Ihr Vorgehen ähnelt dem von GT: Sie scannen ihr Gedächtnis doppelt so schnell nach der wahrscheinlichsten Lösung für das vorliegende Problem ab. Grundsätzlich hat das Verfahren von GT mehr mit dem professionellen Übersetzen gemein als mit dem langsamen Abstieg in den »großen Keller« der reinen Bedeutung, als die Entwickler der ersten Übersetzungsmaschinen es sich vorstellten.
    GT ist auch ein herrlich frecher Kommentar zu einem der großen Mythen der modernen Linguistik: der Behauptung – sie galt jahrzehntelang nahezu unangefochten –,

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