Was sich kusst das liebt sich
Stipendium von der British Academy. Auf derartige Erfolge ihrer Kinder waren alle Eltern stolz.
Ja, sie hatte sich überlegen gefühlt, und sie war erleichtert gewesen, als ihr Vater endlich aufgehört hatte zu schreien und auf seinen Stuhl gesunken war. Er hatte die Hand an seine rote Stirn gelegt und…
» Er sagte zu mir: ›Und was dich angeht: Ich kann deinen Anblick kaum mehr ertragen. Du wirst dich noch zu Tode futtern.‹« Sein resignierter Tonfall war viel schlimmer gewesen als alles, was er Celia und Douglas an den Kopf geworfen hatte. Doch dank jahrelangem Training konnte Neve seine Worte völlig emotionslos wiedergeben, ohne eine Miene zu verziehen. Max dagegen wirkte entsetzt, empört und schockiert.
» Das hätte er nicht sagen dürfen. Er hatte kein Recht…«
» Er hatte jedes Recht dazu«, fuhr Neve scharf dazwischen. » Es war die reine Wahrheit, und er hat mir einen Gefallen getan. Ja, es hat wehgetan, und ja, es war ein Schock, aber genau das habe ich gebraucht. Und heute wiege ich keine fünfundsiebzig Kilo mehr.«
» Im Ernst? Über siebzig? Sieht man dir gar nicht an«, sagte Douglas, was ihm einen Klaps von Celia und ein panisches » Du darfst Charlotte nicht verraten, wie viel ich wiege« von Neve eintrug.
» Na, ist doch wahr! Und Dad hat ihr tatsächlich einen Gefallen getan. Er hat uns allen einen Gefallen getan. Neve ist nicht mehr fett, Celia hat eine Arbeitsmoral entwickelt, und ich habe eine ehrbare Frau aus Charlie gemacht.«
» Dafür braucht es schon mehr als einen Ehering«, brummte Celia finster, und vielleicht gehörten die abfälligen Bemerkungen und das Bohren in alten Wunden genauso zu einem Familien-Dinner dazu wie das Gekicher bei der Erinnerung an diverse Ausflüge ans Meer, die schon Jahre her waren. Sie wandte sich an Max, der Neve nicht aus den Augen ließ, obwohl sie stur den Blick gesenkt hielt. » Ich weiß ja nicht, was dir Neve erzählt hat, aber Dad ist eigentlich ganz okay.«
» Es mag dir unverständlich erscheinen, Nervensäge, aber ich unterhalte mich mit Neve nicht unentwegt über eure Familie. Wir haben jede Menge andere Gesprächsthemen«, sagte Max, und Neve war wieder einmal fasziniert, weil er es schaffte, die größten Frechheiten in einem Tonfall zu äußern, der es einem unmöglich machte, ihm böse zu sein.
Celia war ihm definitiv nicht böse. Sie nickte bloß und sagte: » Tja, Neve spricht selten darüber, denn sonst müsste sie zugeben, dass sie seither nicht mehr mit Dad geredet hat.«
» Quatsch!« Neve ließ ihre Tasse los und legte die Hände flach auf den Tisch. » Ich rede oft mit ihm, und ich treffe mich mit ihm und Mum, wenn die beiden nach London kommen. Also, was du manchmal für einen Unsinn redest.«
» Du redest nicht mit ihm«, beharrte Celia. » Mum sagt, er schickt dir ständig E-Mails…«
» Ja, um mich zu fragen, ob in meiner Wohnung irgendetwas repariert werden muss. Dem ist aber nicht so.«
» Und du rufst sie immer auf dem Handy an, statt auf dem Festnetz, weil da ja Dad rangehen könnte.«
» Ja, und er sagt immer bloß: ›Ich geb dir deine Mutter‹«, fauchte Neve. » Ich rede durchaus mit ihm, und er könnte mich ja auch anrufen, aber das tut er nicht, und selbst wenn, dann bringt er kaum ein Wort heraus.«
» Ach, lassen wir das.« Celia lehnte sich zurück und erwiderte Neves bitterbösen Blick. » Mum hat ganz recht– du bist genau der gleiche Dickschädel wie Dad.«
» Stimmt«, pflichtete Douglas ihr bei, und wenn Neve angeblich der gleiche Dickschädel war wie ihr Vater, dann waren diese beiden die gleichen Plaudertaschen wie ihre Mutter, die immer über Dinge redete, über die man lieber den Mantel des Schweigens hüllen sollte.
Sie musterten einander mit schmalen Augen und verschränkten Armen, bis Max hüstelte und sagte: » Tja, ich schätze, es hat auch Vorteile, ein Einzelkind zu sein.«
» Sorry, Kumpel.« Douglas klopfte ihm auf den Rücken. » Schwestern. Schlimmer als eine Ehefrau.«
» Wie geht es denn der lieben Charlotte?«, flötete Celia und begann von den » Ach, halt doch die Klappe!«-Schreiduellen zu erzählen und davon, wie Yuri neulich Abend die Wohnungstür aufgerissen und » Wie wär’s, wenn ihr beide verdammt nochmal die Klappe halten würdet?« in den Flur gebrüllt hatte.
» Charlie ist schon okay«, sagte Douglas, aber es klang alles andere als überzeugt, und als Celia den Mund aufmachte, um zu widersprechen, schob er den Stuhl zurück und stand auf. » Tja, das
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