Was sich kusst das liebt sich
etwas knapp bemessen vorkam.
» Neve! Stell doch bitte den Wecker auf acht, ja?«, rief Max aus der Küche. » Ich mache dir auch etwas Rührei, okay?«
Sie verdrehte die Augen, dann griff sie nach dem Wecker und stellte ihn auf halb sieben. Sie musste gleich frühmorgens zu einer Session mit Gustav, nachdem sie ihn gestern angerufen hatte, um das Samstagnachmittagstraining » wegen grauenhafter Regelschmerzen« abzusagen. Gustav hatte steif und fest behauptet, Bewegung sei das beste Mittel gegen Unterleibskrämpfe, als hätte er eine Ahnung von Regelschmerzen. Wenn sie morgen früh nicht aufkreuzte oder auch nur fünf Minuten zu spät kam, würde er sie garantiert zwei Stunden am Stück Hampelmänner machen oder Kugelhanteln stemmen lassen.
Die Versuchung, neunzig Minuten länger im Bett zu bleiben, war überwältigend, doch ehe Neve dazukam, Max mit einem Kuss zu wecken, piepste ihr iPhone. Eine SMS von Gustav: Bitte sei pünktlich – deine Menstruationsbeschwerden sollten ja inzwischen vorbei sein. Er konnte wohl Gedanken lesen.
Gustav beendete soeben das Training mit einem anderen Schützling, als Neve aus der Umkleide kam. Sie winkte ihm zu und erntete ein schmales Lächeln. Kein gutes Omen für die nächsten zwei Stunden ihres Lebens.
Sie hatte gerade begonnen, sich aufzuwärmen, als er auf sie zukam. » Zehn Minuten auf dem Laufband bei maximalem Tempo«, befahl er. » Ich bereite inzwischen alles fürs Bankdrücken vor.« Er drehte sich um, und Neve schnitt eine Grimasse, was ihrem Vorgänger, einem ernst dreinblickenden Mittvierziger, den Gustav immer als leuchtendes Beispiel anführte, nicht entging.
» Hat er dir schon die Fußgewichte verpasst?«, fragte er, während sie auf dem Laufband lostrabte.
» Nein, Gott bewahre.«
» Stell dich schon mal darauf ein. Seine Laune ist heute zum Fürchten.«
Neve steigerte sogleich die Geschwindigkeit auf 12Kilometer pro Stunde, doch als Gustav zurückkam, knurrte er nur: » Ich dachte, du bist längst bei 15.«
Die kommenden eineinhalb Stunden entsprachen voll und ganz Neves Befürchtungen. Bankdrücken, Rudern, Kniebeugen mit einer Zwanzig-Kilo-Hantel auf den Schultern und Liegestützen (die echten, anstrengenden), und dazwischen zehnminütige Sprints auf dem Laufband bei 15Kilometer pro Stunde, damit ihr Puls auch schön oben blieb.
» Deine Kondition hat ziemlich nachgelassen«, sagte Gustav, als Neve schließlich schnaufend auf einer Gymnastikmatte lag. » Aber das ist dann wohl monatsbedingt.«
» Das war am Samstag, und hab ich dir schon gesagt, wie leid es mir tut, dass ich unser Training absagen musste? Es tut mir nämlich wirklich aufrichtig leid.«
» Du hast es ein-, zweimal angedeutet«, schnarrte Gustav. Seine Laune hatte sich kein bisschen gebessert, dabei hatte Neve alle seine Anweisungen befolgt, ganz ohne Protest, Schnute oder Augenverdrehen. » Los, komm, die Waage ruft.«
Die vier Scheiben Toast (Max hatte behauptet, sein Toaster könne keine ungerade Scheibenanzahl verkraften), die Würstchen, das Rührei, die Nudeln und die Tomaten aus der Dose lagen ihr wie Blei im Magen, als sie Gustav in sein kleines Büro folgte. Andererseits hatte sie gestern nur eine Schüssel Müsli zum Frühstück gegessen, am Samstag den ganzen Tag über bloß eine halbe Pizza und zwei Äpfel, und am Freitagabend gar nichts. Die geplanten drei Kilo hatte sie zwar garantiert nicht abgenommen, aber ein Kilo und zweieinhalb Zentimeter weniger Hüftumfang erschien ihr realistisch. Und in den kommenden drei– zweieinhalb– Wochen würde sie sich wirklich zusammenreißen und ganz gesund ernähren. Sie würde auf Kaffee verzichten und nur gedünstetes Gemüse zu sich nehmen, wenn es sein musste, dachte sie, als sie aus ihren Turnschuhen schlüpfte und sich nervös Gustavs Hightech-Waage näherte.
Beim letzten Mal hatte Neve nicht ganz 73Kilo gewogen. Die Digitalanzeige begann zu zählen, und Neve schloss die Augen, überkreuzte vorsichtshalber die Zeige- und Mittelfinger hinter dem Rücken und schickte ein kurzes Stoßgebet an die Göttin der Schlankheitskuren.
Gustav machte » Hmm«, und es klang nicht gerade sehr ermutigend. Sie öffnete ein Auge und schielte entsetzt auf die Anzeige.
Sie hatte zweieinhalb Kilo zugenommen! Zweieinhalb Kilo!
» Das ist nur eine kurzzeitige Veränderung«, sagte Gustav. Jetzt konnte er nett zu ihr sein, denn die angezeigte Zahl war der Beweis dafür, dass er im Recht war und Neve im Unrecht.
Zum ersten Mal seit drei
Weitere Kostenlose Bücher